Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

174 Erster Teil. Viertes Buch. $ 59. 
genommen !5, am 27. als Reichsgesetze publiziert wurden !®. Die 
Verhandlungen über die Verfassung im engeren Sinne, 
d. h. über Kompetenz und Organisation der zu schaffenden Reichs- 
gewalt, dauerten bis zum März 1849. Große Schwierigkeiten bot 
namentlich die Konstituierung der Zentralgewalt und die darin 
liegende „Oberhauptsfrage“e. Sie hing auf das engste mit der 
Frage zusammen, ob Österreich dem künftigen Bundesstaate an- 
gehören werde. Erst nachdem der Kaiser Franz Joseph am 
4. März seinem Lande eine Verfassung gegeben hatte, welche den 
Gedanken der .Reichseinheit in voller Strenge durchführte und 
daher jede engere Verbindung mit Deutschland ausschloß, kam 
Klarheit in die Sache. In der Sitzung vom 27. März 1849 wurde 
die zweite Lesung der Reichsverfassuug von der Nationalversammlung 
beendigt und die Herstellung eines Erbkaisertums beschlossen 1", 
Am 28. März erfolgte mit 290 gegen 248 (sich der Abstimmung 
enthaltenden) Stimmen die Wahl Friedrich Wilhelms IV., Königs 
von Preußen, zum deutschen Kaiser!®, Am gleichen Tage ist die 
Verfassung des Deutschen Reiches von der National- 
versammlung endgültig angenommen, sanktioniert und demnächst 
im Reichsgeseizblatt verkündigt worden, 
Sie enthält, was die Kompetenz und die Organisation der 
Reichsgewalt betrifft, im wesentlichen folgende Bestimmungen: 
Die auswärtige Vertretung, das Recht des Krieges und Friedens, 
das Heer, die Seemacht und die Verkehrsanstalten sollten auf das 
Reich übergehen, dem außerdem weitgehende gesetzgeberische und 
europäische, auch deutsche Staaten — vgl. unten $ 217 und Anschütz, Komm. 
1 91 ff. — übergegangen) auf der Anschauung beruhte, daß eine richtige 
Verfassung nicht nur die Organisation des Staates zu regeln, sondern auch 
feste Schranken zwischen Staatsgewalt und Individuum aufzurichten habe. 
Eine solche Schrankenziehung, eine Verbriefung des Mindestmaßes aller 
persönlichen und bürgerlichen Freiheit gegenüber der öffentlichen Gewalt, 
enthalten auch die deutschen Grundrechte, unter Hervorhebung namentlich 
derjenigen „Freiheiten“, welche in dem Deutschland vor 1848 besonders 
eng beschränkt oder gar nicht vorhanden gewesen waren: Freiheit der 
Person und der Wohnung, Unverletzlichkeit des Eigentums, Religionsfreiheit, 
bürgerliche Gleichberechtigung der Bekenntnisse, Vereins- und Versammlungs- 
freiheit, Pre3freiheit, Freiheit der Wissenschaft, Gleichheit vor dem Gesetz, 
Darüber hinaus geben die „Grundrechte“ noch eine Reihe von Normativ- 
bestimmungen über die Organisation von Staat und Gemeinde in den deutschen 
Einzelstaaten, wie denn insbes. für jeden Staat eine konstitutionelle Ver- 
fassung mit gewissen Mindestkompetenzen der Volksvertretung, verantwort- 
lichen, Ministern usw. vorgeschrieben war ($$ 186 ff. der Reichsverfassung 
von 1849). 
15 Sten. Ber. 4314 ff. 
18 R.G.B. 49 ff. 
e v. Sybel 1 280 ff.; Binding, Paulskirche 49 ff. 
17 Sten. Ber. 6058 ff. 
18 Sten. Ber. 6093. Vgl. v. Sybel a. a. O. 308, 304; Binding 57, 58. 
ı» Publiziert im Reichsgesetzblatt 101 ff. Sie ist oft abgedruckt, z. B. 
bei Roth und Merck 2 198 ff.; Glaser, Archiv des Norddeutschen Bundes 1 1ff.; 
Binding, Deutsche Staatsgrundgesetze, Heft 2; Bergsträßer, Die Verfassung 
‚des Deutschen Reiches v. J. 1849.
	        
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