Die Gründung des Deutschen Reiches. $ 59. 175
aufsichtliche Befugnisse zugewiesen wurdenf. Reichsoberhaupt
sollte ein Kaiser sein, der von der konstituierenden National-
versammlung aus den deutschen Fürsten gewählt wurde und in
dessen Mannesstamm die Krone nach Primogeniturrecht vererbte.
Er führte den Titel „Kaiser der Deutschen“. Er war unverant-
wortlich und unverletzlich, besaß aber bei der Gesetzgebung nur
ein suspensives Veto. Neben ihm stand ein Reichstag, der sich
in zwei Häuser, ein Staatenhaus und ein Volkshaus, gliederte.
Das Staatenhaus enthielt die Vertreter der Einzelstaaten, welche
zur Hälfte von den Regierungen, zur Hälfte von den Ständen und
zwar da, wo solche existierten, von den Provinzial-, sonst von den
Landständen (dem Landtage) ernannt wurden. Bestanden letztere
aus zwei Kammern, so erfolgte die Ernennung in einer gemein-
schaftlichen Sitzung. Das Volkshaus ging aus allgemeinen und
direkten Wahlen hervor. — Außer der Verfassung hatte die
Nationalversammlung noch einige andere Gesetze erledigt, unter
denen namentlich das Wahlgesetz vom 12. April 1849, das Vorbild
des heutigen Reichstagswahlgesetzes vom 31. Mai 1869 (unten $ 129)
zu erwähnen ist.
Friedrich Wilhelm IV. lehnte die Kaiserkrone ab,
welche er nur nach vorheriger Verständigung mit den deutschen
Fürsten annehmen wollte?2°. Bald darauf traten viele Mitglieder
aus der Nationalversammlung aus und einzelne Regierungen riefen
die Vertreter ihrer Länder zurück. Die revolutionären Erhebungen
in Sachsen, Baden und der Pfalz, welche unter dem Vorwande der
Durchführung der Reichsverfassung unternommen wurden, fanden
bald ihr Ende. Der Rest der Versammlung siedelte nach Stuttgart
über, wo er am 18. Juni 1849 aufgelöst wurde?!,
Preußen versuchte nunmehr durch Vereinbarung mit
den einzelnen deutschen Regierungen das Verfassungs-
werk durchzuführen. Am 26. Mai 1849 kam das sogenannte Drei-
königsbündnis mit Sachsen und Hannover zustande ®®, in welchem
f Dieses Reich sollte nach der oft kundgegebenen Absicht aller bei
dem Versuch seiner Gründung Beteiligten die rechtliche Natur eines Bundes-
staates haben. Vgl. Haenel, Staatsr. 1.197, 198; Binding, Versuch der Reichs-
gründung 24ff. OÖ. Mayer im Arch.Öff.R. 18 361 urteilt dagegen: „Einen
undesstaat hätte das (nämlich das Werk der Nationalversammlung) nie ge-
geben. Juristisch war es eine konstitutionelle Monarchie mit viel Selbst-
verwaltung. Politisch eine halbe Republik mit auf den Aussterbeetat ge-
setzten Rechten früherer staatlicher Selbständigkeit.“ — „Juristisch“ ist
dieses Urteil, soweit es dem auf dem Papier stehen gebliebenen Reich von
1848/49 den Bundesstaatscharakter abspricht, sicher unbegründet; „politisch“
würde sich darüber reden lassen, wofür aber hier nicht der Ort ist.
2° Erwiderung des Königs vom 3. April und Note des deutschen Be-
vollmächtigten bei der provisorischen Zentralgewalt vom 17. April (Roth
und Merck a. a. O. 456 u. 484), Vgl. v. Sybel a. a. O. 1 308.
sı v, Sybel a. a. O. 318, 319.
s? Aktenstücke, betreffend das Bündnis vom 26. Mai und die deutsche
Verfassung, (Berlin 1849) 43 ff. u. 73ff.; Weil a. a. O. 171fl; v. Sybel
2.8, .