10 Einleitung. $ 1.
6. Staaten sind demnach alle diejenigen politischen Gemein-
wesen, welche die Befugnis besitzen, politische Aufgaben selb-
ständig, d. h. nach eigenen Gesetzen zu erfüllen, und ihre Ver-
fassung selbständig, d. h. durch eigene Gesetze zu regeln‘. Sie
zerfallen in:
a) souveräne Staaten (Einheitsstaaten)d, d. h. solche,
welche keiner höheren Gewalt unterworfen sind ?!;
Bebender Beteiligung kolonialer Organe, aber auch unter entscheidendem
influß englischer Staatsorgane (König, Gouverneur) ausgeübt; sie hat
also keinen andern Charakter, als ihn beispielsweise die Gesetzgebung der
österreichischen Kronländer und die Landesgesetzgebung Elsaß-Lothringens
besitzt. Was das zweite Moment betrifft, so beschränken sich die Vor-
schriften über die einzelstaatliehen Verfassungen, welche in den bundes-
staatlichen Grundgesetzen der Schweiz und der Vereinigten Staaten vor-
kommen, auf die Feststellung des allgemeinen staatsrechtlichen
Charakters dieser Verfassungen; die Regelung der einzelstaatlichen
Organisation, d. h. die Feststellung der Organe und die Normierung ihrer
Befugnisse, ist dagegen Sache der Einzelstaaten geblieben, letztere
haben ein Recht, dieselbe durch eigene Gesetze vorzunehmen. Eine
ganz andere Stellung nehmen Gemeinden und Provinzen ein, deren Ver-
fassung der Staat durch seine Gesetze, sei es durch allgemeine Pro-
vinzial- und Gemeindeordnungen, sei es durch Spezialgesetze — wie die
englischen Gesetze über einzelne Kolonien oder die deutschen Reichsgesetze
über Elsaß-Lothringen —, festzustellen berechtigt ist. — Brie, Theorie der
Staatenverbindungen 12 und Preuß, Gemeinde, Staat, Reich 72 treten den
obigen Ausführungen mit der Bemerkung entgegen, daß auch die Kommunal-
verbände in ihren autonomischen Satzungen eigene Gesetze besäßen. Aber
der Unterschied der Staaten von den Kommunalverbänden liegt nicht in der
Befugnis, eigene Gesetze zu erlassen, welche jedem korporativ organi-
sierten Verbande zusteht, sondern darin, daß ihnen ein Kreis politischer
Aufgaben vorbehalten ist, welche sie nach eigenen Gesetzen erfüllen
können. Eine derartige Selbständigkeit besitzen die Kommunalverbände
nicht; ihre Tätigkeit bei der Erfüllung politischer Aufgaben unterliegt der
unbeschränkten Regelung durch Staatsgesetze.
° Die hier hervortretende Betonung des „eigenen“ trifft den richtigen
Punkt. Doch verdient dieses Moment noc schärfer hervorgehoben zu werden.
Der Staat unterscheidet sich von der Gemeinde und jedem andern Verbande
des Öffentlichen Rechts nicht dadurch, daß er Gewalt hat, sondern daß er
Gewalt hat kraft eigenen Rechts. Gewalt, z. B. Finanzhoheit, steht auch
der Gemeinde über ihre Mitglieder und Einwohner zu, diese Gewalt ist aber
aus der Staatsgewalt abgeleitet. Letztere allein ruht auf sich selbst, auf
eigenem Recht: Auschütz, Enzykl. 19. Ubereinstimmend vor allem Laband
1 65 (oben Anm. b) und Jellinck, Staatsl. 489 ff. (489 f.: „Staatsgewalt ist
nicht weiter ableitbare Herrschaftsgewalt, Herrschergewalt aus eigener Macht
und daher zu eigenem Recht“), Staat und Gemeinde (Ausgewählte Schriften
und Reden 2 352 ff.); vgl. ferner Hatschek, Allgem. Staatsr. 8 45, Ruck im
Jahrb.Öff.R. 6 162 („Staat bedeutet eigenherrliche Gebietskörperschaft“)
und Walther, Das Staatshaupt in den Republiken (1907) 53, 54.
4 Die hierin liegende Gleichsetzung der Begriffe „souveräner Staat“
und „Einheitsstaat“ ist unzutreffend. Auch Nicht-Einheitsstaaten, d. h,. zu-
sammengesetzte Staaten können souverän sein und sind in der Regel souverän.
Das Deutsche Reich ist erstens ein Staat, zweitens ein souveräner Staat,
drittens aber kein Einheits-, sondern ein zusammengesetzter (Bundes-) Staat.
Anschütz, Enzyklop. 13, 64 fl.
%ı Haenel, St.R. 1 108 ff. findet den Unterschied des Einheitsstaates von
andern korporativen Verbänden in drei Momenten: darin, daß derselbe Ge-