Die Organe. $ %. 329
Zweites Kapitel.
Der Landtag.
1. Rechtliche Stellung des Landtages.
8 96.
Als in den deutschen Territorien die landständischen Corpora
sich bildeten, traten sie dem Landesherrn als persönlich be-
rechtigte Subjekte gegenüber, welche lediglich ihre eigenen
Rechte und Interessen vertraten. Das Verhältnis des Landesherrn
und der Landstände ging in Beziehungen von Person zu Person
auf. Die einzelnen Mitglieder erschienen auf den Landtagen teils
aus eigenem Rechte als Besitzer eines bestimmten Gutes, teils als
Vertreter einer Korporation, an deren Instruktionen sie bei der
Abstimmung gebunden waren.
Je mebr aber aus den Territorialbildungen des Mittelalters
der moderne Staat hervorwuchs und der Gedanke des Gemein-
wesens zum Durchbruch kam, desto mehr begann man die Land-
stände als ein Organ des Gemeinwesens anzusehen. Man stellte
sie dem Landesherrn, der monarchischen Obrigkeit, als Repräsen-
tation der Bevölkerung gegenüber. Diese Auffassung fand
schon unter den späteren Publizisten der Reichszeit mehrere ange-
sehene Vertreter?. Sie erfuhr jedoch auch Widerspruch ® und war
jedenfalls insofern unrichtig, als die niederen Klassen der Be-
völkerung auf dem Landtage nicht vertreten waren, der also immer
nur eine Repräsentation der bevorrechtigten Stände blieb.
Erst die nach dem Jahre 1815 beginnende konstitutionelle
Bewegung hat die Idee der Volksvertretung völlig zur Durch-
führung gebracht. Bei der Einführung der neueren Verfassungen
schloß man sich aber in denjenigen Staaten, in welchen die Land-
stände sich erhalten hatten, an die vorbandenen Institutionen an,
ohne sich des Unterschiedes zwischen den neuen und alten Ein-
richtungen vollkommen bewußt zu werden. Man behielt den ber-
ı F,A, v. Campe, Die Lehre von den Landständen nach gemeinem
deutschen Staatsrecht, 2. Aufl., Lemgo u. Detmold 1864; Schulze, Deutsches
Staatsr. $S 169 ff.; v. Gerber, Grundzüge $ 89; Jellinek, Allg. Staatsl. 545,
548, 566 #.; Anschütz, Enzykl. 138 ff.; Bornhak, Preuß, Staatsr. 1 88 58, 59;
v. Seydel-Piloty, Bayr. Staatsr. 1 215ff.; Rehm, Art. Landtag in WStVR.;
Tezner, Die Volkevertretung (1912); Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechts-
ehre .
8 J.J. Moser, Von der Reichsstände Landen, deren Landständen, Unter-
tanen usw., Buch II Kap. 20 $ 18: Pütter, Ob und wie weit in teutschen
Fürstentümern und Grafschaften den Landständen ein Mitregierungsrecht
beigelegt werden könne, Beiträge zum teutschen Staats- und Fürstenrecht
ı1 179 f£.; Häberlin, Handbuch des teutschen Staatsrechtes 2 73 ff. Vgl.
O. Gierke, Johannes Altbusius 224 N. 42 und v. Below, Territorium und
Stadt 243 ff.
s Posse, Über das Staatseigentum in den deutschen Reichslanden und
va: N Praaentationsrecht der deutschen Landstände (Rostock u, Leipzig