Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Organe. $ 96. 33l 
Die Landtage haben nicht den Charakter besonderer 
Rechtssubjekte. Sie sind nicht Korporationen, sondern 
staatliche Kollegien; es stehen ihnen keine subjektiven 
Rechte, sondern lediglich staatliche Kompetenzen zu®, 
Die Tätigkeit derselben erstreckt sich auf die verschiedensten 
Gebiete des Staatslebens. Der aus der Gewaltenteilung bisweilen 
hergeleitete Grundsatz, nach welchem der Volksvertretung lediglich 
gesetzgebende Funktionen zustehen, hat im deutschen Staatsrecht 
niemals Eingang gefunden. Allerdings besitzen die deutschen Land- 
tage zunächst das Recht der Mitwirkung bei der Gesetz- 
gebung. Sie sind aber außerdem auch bei der Ausübung 
zahlreicher Funktionen der Verwaltung beteiligt. Die 
Feststellung des Staatshaushaltes kann nur mit ihrer Zustimmung 
erfolgen, sie haben die Veräußerung von Staatsgut, die Aufnahme 
von Anleihen und die Übernahme von Garantien zu bewilligen, 
sowie bei der Verwaltung des Staatsschuldenwesens mitzuwirken. 
Ihrer Genehmigung unterliegen gewisse Staatsverträge und andere 
völkerrechtliche Akte. Sie haben außerdem ein das ganze Gebiet 
sich lediglich von Rücksichten des Gesamtwohls leiten zu lassen; die ein- 
seitige Verfolgung von Standes- und Klasseninteressen ist stets eine grobe 
Verletzung der parlamentarischen Pflichten, und es kann wahrlich nicht die 
Aufgabe der Staatsrechtswissenschaft sein, einer solchen das Wort zu reden. 
Gegen Rieker auch Lukas, Die rechtliche Stellung des Parlamentes (Graz 
1901) 85 N. 2, sowie Loening Verw.Arch. 18 21 N. 38. Val ferner Orlando, 
Du fondement juridique de la representation politique in der Revue de droit 
ublie81fl. Die Ansicht Riekers ist im Grunde nur eine Spielart der schon 
ange vor Rieker von L. v. Stein und Gneist aufgestellten Ansicht, wonach 
das Parlament Organ nicht des Staates, sondern der „Gesellschaft“ sei. 1. 
darüber Jellinek, Staatsl. 578; Kelsen, Hauptprobleme 468. Letzterer pole- 
misiert (469 ff.) lebhaft gegen Riekers Begründung, ist aber im Ergebnis 
gnit ihm einverstanden (die legislativen Faktoren, also auch die Parlamente, 
geien nicht Staatsorgane). Eine Mittelmeinung zwischen der heute herrschenden 
Ansicht und der Stein-Gneistschen Konstruktion, bringt Radnitzky, das Wesen 
der Obstruktionstaktik, Grünhuts Z, 81 465 fl. Gegen ihn Kelsen a. a. ©. 475 ff. 
Gegen die herrschende Auffassung der Parlamente als Staatsorgane wendet 
sich auch Binding, Die Notwehr der Parlamente gegen ihre Mitglieder 
1914) 7ff., freilich auf Grund eines Organbe iffes, der von dem bisher in der 
issenschaft üblichen. völlig abweicht. Unter Organen der Staatsgewalt 
darf man nach Binding (a. a. O. 7) „allein die Personen, Kollegien und 
Korporationen verstehen, die kraft Auftrags des Inhabers der Staatsgewalt 
(damit meint B. den Träger der Staatsgewalt) Akte derselben vornehmen 
dürfen“. Danach wären im wesentlichen nur die Behörden und Beamten 
Staatsorgane. Der Gendarm wäre Staatsorgan, der Minister auch, der König 
dagegen nicht. Die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs im Ministerium ist 
staatsorganschaftliche Tätigkeit, die Beratung desselben im Parlament und 
die Sanktion durch den Monarchen nicht. Die obersten und wichtigsten 
Staatswillenserklärungen: Gesetzgebung, Kriegserklärung, Friedensschluß, 
Ernennung und Entlassung der Minister erfolgen durch ein Nicht-Staatsorgan. 
Wodurch sich eine Terminologie, die zu solchen Absonderlichkeiten führt, 
empfehlen soll, ist nicht ersichtlich.) 
6 Vgl. Anschütz, Enzykl. 139. Starke Reste der altständischen Auf- 
fassung des Landtags als Korporation finden sich noch, wie Rhamm, Ver- 
fassungsges. des Herzogtums Braunschweig 1283 und Braunschw. Staater. 21 
nachweist, in der Braunschw. N. LO.
	        
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