Die Organe. $& 127. 495
Stellung seines Staates im Bundesrate (Vorsitz, Geschäftsleitung,
hohe Stimmenzahl, Stichentschied, Vetorechteb) nach der Reichs-
verfassung zustehen. Dem Namen nach ein Rückgriff auf ältere
Verkörperungen des Kaisergedankens, ist dies neue deutsche
Kaisertum sachlich eine Neuschöpfung, die sich von jenen älteren
Erscheinungen: dem Kaisertum des alten deutschen Reiches und
dem der Einheitsbestrebungen von 1848/1849 (Entwurf der 17
Vertrauensmänner, Frankfurter Reichsverfassung°) darin jeden-
falls vorteilhaft abhebt, daß sie theoretisch vielleicht weniger,
praktisch mehr zu bedeuten hat.
Die geschichtliche Entwicklung des heutigen Kaisertums läßt
sich zurückverfolgen bis in die Vorarbeiten und ersten Entwürfe
der Verfassung des norddeutschen Bundesd. Aus den Macht-
befugnissen, welche damals der Krone Preußen außer ihrer be-
herrschenden Stellung im Kreise der verbündeten Regierungen, im
Bundesrate des Norddeutschen Bundes zugedacht waren, ist die
kaiserliche Gewalt der Reichsverfassung hervorgegangen durch
eine Transformation der rechtlichen Natur jener Befugnisse, durch
Veränderung des Titels ihres Trägers, durch mehrfache Erweite-
rungen ihres Umfanges,
Die rechtliche Natur der Präsidialgewalt außerhalb des Bundes-
rates war nach dem preußischen Entwurf vom 15. Dezember 1866 ®
in seiner ursprünglichen, wie auch in der abgeänderten Gestalt,
welche er durch die Beratungen mit den norddeutschen Regie-
rungen erhalten hatte, nicht die einer mit der Krone Preußen in
Personalunion gesetzten Bundesorganschaft, sondern die einer
Hegemonie Preußens über das außerpreußische Norddeutsch-
land. Wenn die Entwürfe dem König von Preußen als „Bundes-
präsidium“ die völkerrechtliche Vertretung des Bundes, ferner
die Verwaltung der Post und Telegraphie im Bundesgebiet über-
Bornhak im ArchÖffR 8 425 ff., 26 373 ff; R. Fischer, Das Recht des deutschen
Kaisers (1895); J.v. Held, Das Kaisertum als Rechtsbegrift (1879); Anschütz,
Enzykl. 101 ff.; Triepel, Unitarismus und Föderalismus 14 fl., STE, 68 ff.; E.
Rosenthal, Die Reichsregierung (1911); Loening, Grundzüge 49 ff.; Binding,
Die rechtliche Stellung es Kaisers (1898); H. Preuß in der ZStW 45 420 E ;
R. Steinbach, Die rechtliche Stellung des deutschen Kaisers verglichen mit
der des Präsidenten von Amerika (1908); Walter W. Rauer, Der deutsche
Kaiser, seine Stellung im alten und neuen Reiche (1913).
b Oben $$ 123—125.
o Oben 8 59 S. 172, 175.
d Oben 5 64 S. 10 fl.
e Vgl. oben $ 64 Anm. e. — Die preußischen Grundzüge vom 10. Juni 1866
(oben 183, 184) wissen von einem Präsidium Preußens ım Bunde oder über
den Bund noch nichts. Eine ausschließliche Vorrangstellung Preußens kennen
sie nurauf maritimem Gebiet: preußischer Oberbefehl über die Kriegsmarine.
Der Oberbefehl über die Streitkräfte zu Lande steht dem König von Preußen
nur im Norden Deutschlands, im Süden dagegen dem König von Bayern
zu; die völkerrechtliche Vertretung des Bundes ist abstrakt der „Bundes-
ewalt”, nicht dem König von Preußen übertragen (Art. VII, VII, IX der
rundzüge).
99*