646 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 155.
auch nicht das eines weiteren zu einem von ihm eingeschlossenen
engeren, wobei der materielle Begriff als der weitere zu denken
und einerseit zuzugeben wäre, daß Gesetze im rein materiellen
(nicht zugleich auch formellen) Sinne vorkommen, — andererseits
aber zu behaupten wäre, daß die Gesetze im „engeren“, d.h. for-
mellen Sinne stets auch solche im „weiteren“, d. h. materiellen
Sinne seien, stets Rechtsnormen enthalten. Diese Meinung ist auf-
gestellt wordent, jedoch unrichtig. Das konstitutionelle Gesetz
ist eine Form der Staatswillensäußerung, welche, wenngleich auf
die Rechtssetzung vornehmlich zugeschnitten und spezifisch für sie
bestimmt, doch auch für andere Zwecke geeignet und verwendbar
ist. Daß der Gesetzgeber — also Regierung und Volksvertreiung
im legislativen Zusammenwirken — auch etwas anderes als Rechts-
sätze zum QGegenstande seiner Willensäußerungen machen darf,
verbietet ihm weder ein Naturgesetz noch eine Verfassungsvorschrift,
und dadurch, daß der Nicht-Rechtssatz in das Gewand des Gesetzes
gekleidet wird, wird er nicht zum Rechtssatzv. Damit ist die
Möglichkeit von rein formellen Gesetzen, d.h. von legislativen
Willensäußerungen gegeben, welche zum Gegenstand und Inhalt
etwas anderes haben als Rechtssätze; es sind Staatsakte, welche
„Gesetze* sind und so heißen nur um ihres Ursprungs und ihrer
Form, nicht um ihres Inhalts willen: Gegenstücke zu den rein
materiellen Gesetzen, den Rechtssätzen ohne Gesetzesform. Zur
Kategorie der rein formellen Gesetze gehören zunächst diejenigen
Legislativakte, welche nicht sowohl keine Rechtsnormen als über-
haupt keine Normen, keine Imperative, sondern etwa Verheißungen,
Versprechungen, Ratschläge, Meinungsäußerungen enthalten: Ge-
setze ohne normativen Inhaltw. Ferner: formelle Gesetze, die
innerlich Verwaltungsvorschriften oder andere Verwaltungsaktex,
u — von den Gegnern der Unterscheidung zwischen formellen und
materiellen Gesetzen: v. Martitz, Zorn, Haenel, vgl. die Zitate oben N. 9.
Charakteristisch der Leitsatz der Haenelschen Abhandlung über das Gesetz
im formellen und materiellen Sinne: „Die Form des Gesetzes hat den Rechts-
satz zu dem ihr notwendigen Inhalt.“ Gegen Haenel insbesondere Laband,
StR4591ff.; Lewald in Schmollers Jahrb. 14 (1889) 281 ff.; Anschütz, Kritische
Studien 20 ff., 42f.; O. Mayer, VR 1. Aufl. 1 71, 2. Aufl. 1 69, 70; Fleiner,
Institut. (3. Aufl.) 66, 68; Kelsen, Hauptprobleme 541 ff.
v Übereinstimmend Laband 4 593, 594.
wSo z. B. die Einleitungsworte („Präambel“) der RV, ... „schließen
einen ewigen Bund“; dies ist, wie oben 195 dargelegt, nicht Rechtssetzung,
sondern Geschichtserzählung. Ferner: RV Art. 35 Abs. 2 Satz. 2: „Die
Bundesstaaten werden jedoch ihr Bestreben darauf richten .. .“ Weitere
Beispiele bei Jellinek, (ses. und Verord. 232, vgl. auch Anschütz, Kritische
Studien 40 ff.; Kelsen, Hauptprobleme 542, 548.
x Über formelle Gesetze, welche inhaltlich nur die Tragweite von Ver-
waltungsvorschriften, z. B. Dienstinstruktionen haben (instruktionellen Ge-
setzesinhalt) vgl. Laband 2 63; Jellinek, Ges. und Verord. 244 ff.; Anschütz
Krit. Studien 76 ff.; Fleiner, Instit. 66, 68 Anm. 2. Das wichtigste Beispiel
eines Verwaltungsaktes in Gesetzesform ist der Staatshaushaltplan (Etat,
Budget) in denjenigen Staaten, deren Verfassungen die periodische Fest-