Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

648 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 156. 
II. Die Landesgesetzgebung. 
1. In den monarchisch regierten Staaten. 
a) Geschichtliche Entwicklung. 
8 156. 
Die Tätigkeit der Gesetzgebung war während des Mittelalters 
sehr unbedeutend, das Recht zum größten Teil Gewohnheitsrecht. 
Es bestand noch kein scharfer Unterschied zwischen Gesetzen und 
anderweiten Akten der öffentlichen Gewalt. Nicht selten wurden 
gerichtliche Urteile dazu, benutzt, um neben der Entscheidung des 
einzelnen Falles Rechtsgrundsätze für die Zukunft aufzustellen. 
Außerdem erfolgte die Ordnung der öffentlichen Rechtsverhältnisse 
häufig in der Form des Vertrages, eine Erscheinung, welche sich 
namentlich dadurch erklärt, daß in der Auffassung der damaligen 
Zeit alle öffentlichen Rechtsverhältnisse als Beziehungen einzelner 
Personen und Korporationen zueinander angesehen wurden. Zu 
diesen Akten der Rechtserzeugung gehörten die kaiserlichen Wahl- 
kapitulationen im Reiche, die Verträge zwischen Landesherren und 
Landständen in den fürstlichen Territorien, die Rezesse zwischen 
Rat und Bürgerschaft in den Reichsstädten. Die vertragsmäßige 
Form der Rechtserzeugung hat sich bis ‚zum Ende des Reiches 
behauptet und erst im gegenwärtigen Jahrhundert der ausschließ- 
lichen Herrschaft des Gesetzes Platz gemacht. 
Eine einheitliche Gesetzgebung für das ganze Reich war schon 
durch die Kapitularien der fränkischen Könige begründet worden. 
Auch das Deutsche Reich besaß vom Beginn seines Bestehens an 
eine gesetzgebende Gewalt, Da es aber während des Mittelalters 
von derselben wenig Gebrauch machte, so blieb der größte Teil 
des Rechtes territorial verschieden. Die Rechtssätze lokalen 
Charakters konnten auf Landesversammlungen fortgebildet werden, 
während in der landesherrlichen Gewalt, solange die Erinnerung 
an den Amtscharakter noch fortdauerte, die Befugnis zur Gesetz- 
gebung nicht enthalten war!. Allerdings durften die Landes- 
herren Anordnungen für ihre Beamten erlassen, sie hatten ferner 
das Recht, Bestimmungen über die Ausübung der ihnen zustehen- 
den Hoheitsrechte, Gerichtsbarkeit, Heerbann, Regalien zu treffen. 
Dagegen waren sie nicht befugt, die Rechtsverhältnisse der einzelnen 
Untertanen zu regeln. Die Landrechte, welche im Laufe des vier- 
zehnten Jahrhunderts in vielen Territorien aufgezeichnet und häufig 
ı Vgl. oben $31 8.94. — In einem Weistum des Reichstages zu Worms 
vom Jahre 1231 (Mon. Germ. Leg. Tom. II B. 059, auch bei Zeumer, Quellen- 
sammlung zur Geschichte der deutschen RV im Mittelalter und Neuzeit, 
Nr. 45) wird festgestellt, „ut neque principes neque alii quilibet constitutiones 
vel nova iura facere possint, nisi melioribus et maioribus terrae consensus‘ 
primitus habeatur“.
	        
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