Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Funktionen. 8 157. \ 6583 
rechts, wie er insbesondere im Allg. Landrecht von 1794 ausgeprägt is 
oder derjenige Begriff, den andere deutsche Verfassungen durch die Forme 
Normen, welche die Freiheit und das Eigentum betreffen“ (s. die nächste 
Note) definieren? Nähere Untersuchung (vgl. Anschütz und Hubrich a.a.O.) 
lehrt, daß alle diese, für die Auslegung der V. vom 6. April 1848 zur Wahl 
stehenden Gesetzesbegriffe identisch sind und auf die Gleichung Gesetz—= 
Rechtssatz, Rechtsnorm hinauskommen, Da nun weiterhin feststeht, 
daß Art. 62 der preuß. Verf. die Erfüllung des im $ 6 der V,. vom 6. April 
1848 gegebenen Versprechens darstellt (Hubrich, AnnDR 1904 847 Anm, 2), 
so muß auch Art. 62 Abs. 1 und 2 im Sinne des materiellen Gesetzesbegriffes 
ausgelegt werden: es bedeutet also im Abs. 1 „gesetzgebende Gewalt“: 
rechtsetzende Gewalt und „Gesetz“ im Sinne des Abs. 2 ist jede 
Rechtsnorm. (Über die Abgrenzung des Begriffes „Rechtsnorm“, ins- 
besondere gegen das Gebiet der Normen, welche ohne in den Rechtsstand 
der Individuen einzugreifen, nur die Einrichtungen und das Verfahren der 
Staatstätigkeit regeln, vgl. oben im Text sowie 5 10) 
Ganz im Sinne der vorstehend und oben im Text vertretenen Auslegung 
des Art. 62 preuß. Verf. und seiner Analoga sagt Haenel, Studien 2 281: 
Überall da, wo die Verfassungen das konstitutionelle Zusammenwirken des 
Staatsoberhauptes und der Volksvertretung zu „Gesetzen“ schlechthin, zu 
jedem Gesetz“ vorschreiben, ist keine andere Deutung möglich als die: die 
orm des Gesetzes ist verfassungsmäßig überall gefordert, wo Rechtssätze 
von staatswegen erzeugt werden sollen. Die konstitutionelle Form des Ge- 
getzes ist hier... notwendig für alles, was der staatlichen Regelung durch 
Rechtssätze fähig und bedürftig ist. Nur das Gesetz selbst kann eine Ver- 
tretung in dieser seiner Funktion anordnen“. — Mit dieser Auffassung haben 
sich, außer den bei Anschütz, Gegenw. Theorien 22, 23 zitier- 
ten zahlreichen Schriftstellern, noch weiterhin einverstanden er- 
klärt: Laband, StR 2 89, 90 Anm. 3; Jellinek, VArch 12 264 ff.; O. Mayer, 
Sächs. StR 156, 157, im ArchÖffR 17 464 ff., 1896 ff.; sämtliche Darstellungen 
des württembergischen Staatsrechts (vgl. Göz, Württ.StR 211 und die 
Zitate dort Anm. 2); Thoma, Der Polizeibefehl im badischen Recht 1 (1906) 
101; für das gegenwärtige preußische Recht auch Thoma, Der Vorbehalt 
des Gesetzes im preußischen Verfassungsrecht (s. über diese Schrift unten 
654 am Schlusse dieser Anm); Fleiner, Instit. 68ff.; van Calker, KritVJSchr 
N. F. 10 97 £.; Hess. StR 151 ff, Hess. VerfG 81 ff, Aull, Das landesherrliche 
Verordnungsrecht im Großherzogtum Hessen (Gieß. Diss., 1909), S. 1—60; 
Schoen im HbdP 1 285, 286; Fleischmann das. 274; Kelsen, Hauptprobleme 
554 ff.: Hubrich in den oben zitierten Schriften; Stier-Somlo, Preuß. StR 
(1506) 1 109, 110; v. Savigny im JurLitBl 1901 Nr. 129; Preuß, AnnDR 1108 
522 fi.; Filet, ArchOffR 28 481; Freudenthal, ZStrRW 82 224; Smend, Die 
preußische Verfassungsurkunde im Vergleich mit der belgischen 31 ff., 38 ff.; 
die oben $ 155 N. 8 angegebene zivilrechtliche Literatur (Gierke, Ende- 
mann, Dernburs, Enneccerus-Kipp-Wolf). Diese von den angesehensten — 
von nahezu allen überhaupt einigermaßen angesehenen — Vertretern der 
Fachwissenschaft getragene herrschende Meinung bezeichnet Bornhak, 
Preuß, StR 2, Aufl. 1 8 78 N. 1 als „Ansicht einiger rückständiger Theore- 
tiker“. Es genügt, dies Diktum festzustellen. 
Abweichende Anschauungen vertreten dieser herrschenden Meinung 
gegenüber für das preußische (nur für dieses) Staatsrecht Gneist, Arndt, 
ornhak und Zorn, deren einschlägige Schriften oben $ 157 N.1. a.E zitiert 
sind. Bei mannigfachen Meinungsverschiedenheiten unter sich haben diese 
Schriftsteller gemeinsam, daß sie den materiellen Gesetzesbegriff nicht an- 
erkennen, die Worte „Gesetz“ und „Gesetzgebende Gewalt“ im Art.62 preuß, 
Verf. in formellen Sinne auffassen und demnach im Art. 62 eine Be- 
stimmung nur über die Formation, nicht über die Zuständigkeit der Legis- 
lative erblicken, was zu der weiteren Folgerung führt, daß eine prinzipi- 
elle, durch eine allgemeine Formel auszudrückende Abgrenzung zwischen 
Legislative und Exekutive (Verordnungsgewalt) durch die preuß. Verfassung 
G. Meyer-Anschütz, Deutsches Staatsrecht. II. 7. Aufl. 42
	        
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