Die Funktionen. 8 170. 123
Zweiter Abschnitt.
Die Justiz.
1. Begriff und Arten der Justiz'.
8 170.
[Die mit den Worten „Rechtspflege“ und „Justiz“ bezeichneten
Begriffe decken sich nicht. „Rechtspflege“ ist eine materielle,
„Justiz“ eine formelle Kategorie. Der Unterschied ist dem zwischen
Gesetzgebung im materiellen und formellen Sinne (oben $ 155)
analog. Unter Rechtspflege (gleichbedeutende Ausdrücke: Recht-
sprechung, Jurisdiktion) versteht man eine nicht durch ihre
ormen, sondern durch ihren Inhalt und Zweck gekennzeichnete
Betätigungsmöglichkeit der Staatsgewalt: Rechts Hege ist der In-
begriff der auf die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung gerichteten
Tätigkeiten]. Rechtspflege ist auf den verschiedensten Rechts-
gebieten möglich: auf dem des Völkerrechtes, Staats- (Verfassungs-
und Verwaltungs-)rechtes, Privatrechtes und Strafrechtes. Von
diesen verschiedenen Arten der Rechtspflege steht zunlichst die
völkerrechtliche allen übrigen gegenüber, welche man unter
der.Bezeichnung der staatlichen Rechtspflege zusammenfassen
kann. Die völkerrechtliche Jurisdiktion ist eine schieds-
richterliche; sie beruht nicht auf einer den streitenden Teilen über-
geordneten Autorität, sondern auf einer Vereinbarung der Par-
teien. Sie ist daher auch nicht mit Zwangsgewalt ausgerüstet.
Eine Ausnahme tritt nur dann ein, wenn völkerrechtliche Sub-
jekte (Staaten) zu einem höheren staatlichen Verbande (staatsrecht-
iche Staatenverbindung, s. o. $ 12 S. 44), insbesondere zu einem
Bundesstaate (oben $ 14) vereinigt sind und diesem eine Gerichts-
barkeit zur Entscheidung von Streitigkeiten seiner Glieder ein-
eräumt ist?. Die staatliche Rechtspflege ist dagegen Ausfluß
er staatlichen Autorität. Innerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit
besteht nun aber wieder ein Gegensatz zwischen der privat-
und strafrechtlichen Jurisdiktion einerseits und der staats-
rechtlichen anderseits. Die privat- und strafrechtliche Juris-
diktion ist Ausfluß der allgemeinen Überordnung des Staates tiber
die seiner Herrschaft unterworfenen Personen, die staatsrechtliche
dagegen Ausfluß des besonderen Verhältnisses, in welchem die
staatlichen Organe untereinander und zum Staate stehen. Die
privat- und strafrechtliche Rechtspflege hat die Aufgabe, bei
Störungen der Rechtsordnung durch Privatpersonen einzuschreiten ®,
ı Vgl. Anschütz, Enzykl. $ 43 und in der „Kultur der Gegenwart“,
Systemat. Rechtswissenschaft (2. Aufl.) 8. 374 ff,
2 So: RV Art. 76 Abs. 1.
3 Diese Person kann bei der Strafrechtspflege nur eine plıysische, bei
der Privatrechtspflege sowohl eine physische als eine juristische sein. Auch
@. Meyer-Anschütz, Deutsches Staatsrecht. III. 7. Aufl. 47