Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

78 Erster Teil. Erstes Buch. $ 23. 
3. Der Reichstag’. 
8 28, 
Der Reichstag war die Versammlung der Stände des Reiches?. 
Wer auf ihm Sitz und Stimme hatte, war und hieß Reichs- 
stand. 
Ursprünglich erschienen alle Inhaber königlicher Amter auf 
dem Reichstage. Nachdem sich die Landeshoheit und ein fester 
Begriff des Fürstenstandes ausgebildet hatte, war mit dem Besitz 
eines Fürstentumes ohne weiteres das Recht der Reichsstandschaft 
verbunden. Der Kaiser konnte jedoch die Befugnis, auf dem 
Reichstage zu erscheinen und zu stimmen, auch solchen Personen 
verleihen, welche kein reichsunmittelbares Territorium besaßen 
(sogenannte reichsständische Personalisten). Auch in den Händen 
der Fürsten erschien die Reichsstandschaft als ein persönliches, 
nicht als ein dingliches Recht. Es stand daher jedem Fürsten, 
der auf dem Reichstage erschien, nur eine Stimme zu, auch wenn 
er mehrere Länder besaß, und ebenso führten die mehreren Herr- 
scher eines Landes jeder eine besondere Stimme. Die Art der 
Stimmverteilung hatte wenig Wert, solange ein festes Majoritäts- 
prinzip nicht existierte. Nachdem dasselbe aber im sechzehnten 
Jahrhundert zur Anerkennung gekommen war?, entstand ein 
1 Schroeder, Rechtsgesch. 519 fi. 839 ff.; Brunner, Grundzüge 289; 
P. Guba, Der deutsche Reichstag in den Jahren 91J—1125, Leipzig 1884; 
C. Wacker, Der Reichstag unter den Hohenstaufen, Leipzig 1882; H. Ehren- 
berg, Der deutsche Reichstag in den Jahren 1273—1378, Leipzig 1883 (diese 
3 als Heft 12, 6 und 9 der histor. Studien von v. Arndt u.a.); H. Wendt, 
Der deutsche Reichstag unter dem König Sigismund bis zum Ende der 
Reichskriege gegen die Hussiten 1410—1431, Breslau 1839 (Heft 30 Untersuch. 
z. deutsch. Staats- u. Rechtsgesch. von Gierke); Rauch, Traktat über den 
Reichstag im 16. Jahrh., eine offiziöse Darstellung aus der kurmainzischen 
Kanzlei (Zeumer, Quellen u. Studien 1 Heft 1, 1905. Der von Rauch 
edierte und kommentierte. wahrscheinlich 1577 von einem unbekannten Mit- 
'gliede der Mainzer Kanzlei verfaßte Traktat: „Ausführlicher Bericht, wie 
es uff Reichstägen pflegt gehalten zu werden“ ist die Hauptstelle für 
unsere Kenntnis der Organisation und Tätigkeit des Reichstages in 
neuerer Zeit. 
2 In den letzten Reichsjahrhunderten wird der Reichstag oft kurzweg 
als „Reich“ bezeichnet und solchergestalt dem Kaiser, im Sinne des stän- 
dischen Dualismus (unten $ 31 S. 97), als ein selbständiges, korporatives 
Rechtssubjekt gegenübergestellt. „Kaiser und Reich“ bedeutet dann soviel 
wie Oberhaupt und Stände des Reiches, während in älteren Zeiten, ins- 
besondere im Mittelalter, die Formel Kaiser und Reich (auch Rex ct Regnum) 
keinen disjunktiven, sondern einen zusammenfassenden und tautologischen 
Charakter hatte: sowohl „Kaiser“ wie „Reich“ und vollends „Kaiser und 
Reich“ bezeichnete damals die zusammenfassende Einheit des Herrschers 
und der Stände. Näheres hierüber bei Smend Zur Geschichte der Formel 
Kaiser und Reich“, in den historischen Aufsätzen 439 ff. (Festgabe für 
Zeumer, 1910). Vgl. auch Gierke, Genoss.R. 2 564 ff. 
‚ ® Deutlich ausgesprochen ist der Grundsatz, daß die Majorität der er- 
schienenen Stände durch ihre Beschlüsse die anderen binden solle, im R.A, 
zu Trier und Köln von 1512 $ 17.
	        
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