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das berühmte Votum der Sozialisten für die Kriegskredite durch die
deutsche Regierung erkauft wurde gegen verschiedene Konzessionen. Die
Regierung hat aber nun nicht ihr Wort gehalten und das Uebereinkom-
men ist gebrochen.“
Wir stellen gegenüber diesem Bericht des „Daily Citizen“, der von
einem „führenden deutschen Sozialisten“ stammen soll, folgendes fest:
„Vor der Abstimmung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion
vom 4. August haben keinerlei Verhandlungen mit der Reichsregierung
darüber stattgefunden, welche Haltung die Regierung zur Sozialdemo-
kratie während der Dauer des Krieges einnehmen würde. Die Haltung
der Regierung zur Sozialdemokratie hatte nicht den geringsten Einfluß
auf die Abstimmung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion vom
4. August. Die deutsche Sozialdemokratie hat von jeher eine Schacher-
politik abgelehnt, bei der ihre Haltung durch Konzessionen der Regierung
hätte bestimmt werden können. Vor und an dem 4. August ist von keiner
Seite innerhalb oder außerhalb der Fraktion auch nur der Versuch gemacht
worden, der sozialdemokratischen Fraktion eine solche Konzessionspolitik
vorzuschlagen. Ein solcher Versuch hätte auch sofort eine einmütige
Zurückweisung erfahren.“
Churchill — kein Napoleon.
London, 20. Oktober.
Der Lord der Admiralität Churchill erließ eine Kundgebung an die
aus Antwerpen zurückgekehrten Marinetruppen, in der es u. a. heißt, die
Entsendung habe den Teil einer großen Operation gebildet zwecks Unter-
stützung von Antwerpen, dessen Fall kein besonderes Ereignis sei. Ein-
gehende Erwägungen hätten die Durchführung des ursprünglich ge-
faßten Planes gehindert.
Zu dieser Kundgebung schreibt die Morning-Post:
Wir wünschen Churchill besonders klar zu machen, daß diese harte-
Lektion ihn lehren sollte, daß er kein Napoleon ist, sondern ein Minister
der Krone, der keine Zeit hat, Armeen zu organisieren oder ins Feld zu
führen. Die Nation würde weitaus mehr Vertrauen in die Leitung der
Geschäfte haben, wenn ein Seemann oder ein wirklicher Fachmann im
Seekriege an die Spitze der Admiralität gestellt würde. Wir glauben,
daß wenn dies nicht geschieht, das Empfinden der Unsicherheit in der
Nation mit dem Fortschreiten des Krieges eher wachsen als abnehmen
wird, da sie vielleicht besser wie die Regierung einsieht, daß dieser Krieg
eine Lebensfrage ist, wobei der Mißerfolg absolute Vernichtung bedeutet.
Die „Enttäuschungen“ der Verbündeten.
Rotterdam, 20. Oktober.
Zu der Erklärung Churchills, daß der Entsatz Antwerpens geplant
worden war, aber aus besonderen Ursachen und Rücksichten sich als nicht
ausführbar erwiesen hatte, äußert sich der militärische Sachverständige der
Times. Er meint, daß der Entsatzplan scheiterte infolge der Enttäuschung,
die nur allzu vielfach vorzukommen pflegt, wenn die Verbündeten bei
Operationen zusammenarbeiten. Der Times-Mitarbeiter schätzt die Stärke-
der Deutschen vor Antwerpen auf 45 000 bis 60 000 Mann. Sie konnten
die Stadt nicht belagern, sondern griffen einen Sektor an und brachen