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Absatz 1 Nr. 1 in Verbindung mit dem Artikel 47 und ist im Generalberichte
des Redaktionsausschusses der Londoner Konferenz im ersten Absatz der Be-
merkungen zum Artikel 45 noch näher ausgeführt worden; denn wie der
Generalbericht bemerkt, war sowohl aus juristischen wie aus praktischen
Gründen die ganze Konferenz darin einig, daß nur aktive Militärpersonen,
nicht aber solche Personen, die sich, wie beispielsweise Reservisten, zur Er-
füllung ihrer allgemeinen Dienstpflicht nach der Heimat begeben, der Ge-
fangennahme auf einem neutralen Schiffe unterliegen. Obwohl die bri-
tische Order in Council die beiden Artikel ebenso wie die Bemerkungen des
Generalberichtes als für die Regierung verbindlich anerkannt hat, haben
doch die britischen Seestreitkräfte deutsche Wehrpflichtige, die nicht in die
Streitmacht eingereiht waren, von Kauffahrteischiffen der niederländischen,
der norwegischen und der italienischen Flagge weggenommen und zu Kriegs-
gefangenen gemacht. Auf diese Weise haben sie nicht nur die in der Londoner
Erklärung wiedergegebenen völkerrechtlichen Grundsätze, sondern auch die
eigenen staatsrechtlichen Normen gröblich verletzt.
Nach einem im „Journal officiel“ vom 26. August 1914 veröffentlichten
Dekret des Präsidenten der Französischen Republik hat sich Frankreich auf
denselben Standpunkt gestellt wie Großbritannien in seiner Order in Coun-
cil. Auch haben die französischen Seestreitkräfte in gleicher Weise wie die
britischen, wehrpflichtige Deutsche von neutralen Schiffen, insbesondere von
niederländischen und spanischen, weggenommen.
Die Verordnungen und darüber hinausgehend die Seestreitkräfte Groß-
britanniens und Frankreichs setzen sich hiernach über die in der Londoner
Seekriegsrechterklärung niedergelegten Regeln in willkürlichster Weise hin-
weg. Sie verfolgen ausgesprochenermaßen den Zweck, durch Lahmlegung
des neutralen Handels nicht nur die Kriegführung, sondern auch die Volks-
wirtschaft ihrer Gegner zu treffen, und greifen dabei in unzulässiger Weise
sowohl in den legitimen Handel der Neutralen mit dem Gegner, als auch in
den Handel der Neutralen untereinander ein. Die Londoner Erklärung ist
zwar bisher nicht ratifiziert worden; wie indes die Bevollmächtigten der
Signatarmächte mit Einschluß der britischen und französischen in der Ein-
leitenden Bestimmung ausdrücklich festgestellt haben, entsprechen die Regeln
der Londoner Erklärung im wesentlichen den allgemein anerkannten Grund-
sätzen des internationalen Rechtes. Die von Großbritannien und Frank-
reich beliebten Verletzungen der Londoner Erklärung stellen sich daher hu-
gleich als Verletzungen des Völkerrechts dar, die um so schwerer ins Gewicht
fallen, als Großbritannien in Kriegen, in denen es neutral war, wie bei-
spielsweise im Russisch-Japanischen Kriege, gegen solche Rechtsverletzung
auf das nachdrücklichste Einspruch erhoben hat (vagl. das englische Blaubuch
Russia Nr. 1, 1905, Correspondence respecting Contraband of War S. 3 ff.).
Die Kaiserlich Deutsche Regierung hat bisher die Bestimmung der Lon-
doner Erklärung streng beobachtet, auch deren Inhalt in der deutschen
Prisenordnung vom 30. September 1909 (Reichs-Gesetzbl. S. 275), sinn-
getreu wiedergegeben; an dieser Haltung hat sie sich selbst durch die flagran-
ten Rechtsverletzungen ihrer Gegner nicht irre machen lassen. Sie muß sich
indes die Frage vorlegen, ob sie an diesem Standpunkt noch länger festhalten
kann, wenn die feindlichen Mächte das von ihnen eingeschlagene Verfahren
fortsetzen und die neutralen Mächte sich solche Neutralitätsverletzungen zu-
ungunsten deutscher Interessen gefallen lassen. Für die Deutsche Regierung
würde es daher von Wert sein, zu erfahren, welche Stellung die neutralen