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so eilig ab, daß er eine große Anzahl von Koffern zurückließ. Diese wurden
in Beschlag genommen. Bei ihrer Durchsuchung wurden auch Papiere vor-
gefunden, u. a. eine Anzahl von Geheimberichten, die ein Major Dublaix
in seiner Eigenschaft als militärischer Vertrauensmann des Herzogs von
Orleans diesem erstattet hat. Diese Berichte sind überwiegend militärisch-
technischen Inhalts, scheuen aber auch gelegentlich nicht einen Ausflug in das
Gebiet der höheren Politik. Wir geben folgenden Bericht wieder:
Ber.-Nr. 227. den 29. Januar 1914.
Gnädigster Herr!
Ich habe gestern ziemlich lange einen Seeoffizier sprechen können, der
persönliche Beziehungen zum Hauptmann Péret, dem Adjutanten des Ma-
rineministers, und zum Hauptmann Dimitrew, dem russischen Marine-
attaché, besitzt. Wir haben von dem kürzlichen Besuch des russischen Admiral-
stabschefs, Admirals Russin, in Paris gesprochen.
Es scheint, daß in zwei geheimen Zusammenkünften die französischen
und russischen Admiralstäbler geprüft haben, welche Rolle die russischen Ge-
schwader für den Fall eines europäischen Krieges spielen könnten. Natür-
lich ist es nicht möglich, zu erfahren, was in diesen Zusammenkünften beschlos-
sen worden ist. Die Besprechung soll sich aber vornehmlich auf ein künftiges
Eingreifen der russischen Schwarzmeerflotte im Mittelmeer bezogen haben.
Die voraussichtliche Rolle der russischen Ostflotte sei nur nebenher in
Betracht gezogen worden.
Wenn diese Auskunft zutreffend ist, und ich habe Grund, es zu glauben,
so muß man daraus ohne Zweifel den Schluß ziehen, daß das etwaige Zu-
sammenwirken der russischen Ostseeflotte mit den englischen Nordseegeschwa-
dern für den Fall eines europäischen Krieges von dem russischen Marine-
minister Admiral Gregorowitsch mit der britischen Admiralität geprüft
worden ist und geprüft werden wird.
Allerdings hat erst kürzlich im Unterhause auf eine Frage des radikalen
Abgeordneten King über die Vorbereitung oder den Abschluß einer englisch-
russischen Marinekonvention Sir Edward Grey geantwortet: „Wenn
zwischen den europäischen Mächten Krieg ausbräche, so bestehe kein geheimes
Einvernehmen, das die Freiheit der Regierung oder des Parlaments be-
schränken oder einengen könnte, wenn es sich darum handeln würde, über die
Teilnahme Englands an den Feindseligkeiten zu entscheiden.“ — Vor
einem Jahre hat Herr Asquith mit Beziehung auf ein französisch-englisches
Bündnis die gleiche Sprache geführt.
Es ist aber notorisch, daß die amtlichen Erklärungen der englischen Mi-
nister immer buchstäblich genommen und im engsten Sinne ausgelegt werden
müsssen. Man muß also einräumen, daß kein diplomatisches Schriftstück vor-
handen ist, das England förmlich verpflichtet, für diesen oder jenen bestimm-
ten Fall seine Heere und seine Flotten mit denen Frankreichs und Rußlands
zu verbinden. Aber: es ist darum nicht weniger gewiß, daß militärische
Abmachungen, die zwischen den Armee= und Marinestäben dieser drei
Mächte zustande gekommen sind, mit Genauigkeit die Beteiligung der briti-
schen Streitkräfte an dem Kampf zu Lande und zur See für den Fall regeln,
daß Regierung und Parlament in England die Teilnahme an den Feind-
seligkeiten beschließen sollten. Und ferner: wie groß die Zuneigung der eng-
lischen Radikalen für Deutschland und ihre Abneigung gegen Rußland sein
mag, sicherlich würde England sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die