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Geprage. Munitions= und Proviantkolonnen passieren die Stadt. Rote-
Kreuz-Wagen mit der Flagge der Genfer Konvention bringen Verwun-
dete vom nahen Schlachtfeld, und der Kanonendonner dröhnt dumpf
und wuchtig durch die Luft. .
Feindliche Flieger ziehen ihre Kreise über der Stadt, und sofort geht
ein ohrenbetäubendes Geknatter los, bis der feindliche Vogel höher und
höher steigt und in der Ferne verschwindet.
Plötzlich heißt es, der Kaiser kommt nach .. Die Belgier stecken
die Köpfe zusammen. „Wie sieht er aus? Ist es wahr?"“ wird man
gefragt. Truppen ziehen durch die Stadt zum Marktplatz, und Punkt
3 Uhr erscheint der Kaiser im Automobil, umgeben von seinem Stabe.
Der Kaiser sieht entgegen allen anderen Meldungen ganz vorzüglich
aus; frisch und fast sorglos heiter schreitet er wie bei der Parade die
Front ab und begrüßt jeden Truppenteil mit einem kräftigen „Guten
Tag, Kameraden“, dem ein kräftiges „Guten Tag, Majestät“ entgegen-
schallt. Viele Soldaten und Offiziere werden ins Gespräch gezogen; zum
Schluß versammeln sich alle Offiziere um ihren obersten Kriegsherrn, der
folgende Rede hält:
Meine Herren, mit Freuden habe ich gehört, daß sich die Kaval-
lerie tadellos geschlagen hat; der Kavallerie ist in diesem Kriege eine
Aufgabe zuteil geworden, wie ich sie nie geglaubt hätte. Es ist viel-
leicht meine Schuld, daß ich in die Friedensausbildung nicht das
aufnahm, was die Kavallerie hier ausüben mußte. Mit Seitengewehr
und Spaten hat die Kavallerie gekämpft, und General v. Marwitz hat
mir gesagt, daß die Infanterie gern und mit Stolz mit der Kavallerie
gekämpft und gestürmt hat.
Mit Freude habe ich vernommen, daß die Soldaten nur ungern
die Schützengräben verlassen haben, um sich von ihren Strapazen etwas
zu erholen. Ich hoffe aber, daß die Kavallerie noch Gelegenheit haben
wird, von ihrer Lanze Gebrauch zu machen, wenn es mit der Hilfe
des lieben Gottes, der uns schon so viele Erfolge gegeben hat, gelingen
wird, den Feind zu umkreisen! Ich danke Ihnen, meine Herren!
Hierauf brachten General v. Marwitz und sämtliche Offiziere ein
donnerndes Hurra auf ihren obersten Kriegsherrn aus, und der Kaiser,
der Mantel, Helm und Ueberzug und in der linken Hand den Feld-
marschallstab trug, bestieg mit seinem Stab das Auto.
Die Aeltesten der Berliner Kaufmannschaft an den Grohadmiral
von Tirpitz.
Berlin, 9. November.
Die Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin haben folgendes Tele-
gramm an Exzellenz von Tirpitz gesandt:
Großadmiral von Tirpitz, Staatssekretär des Reichsmarineamtes,
Großes Hauptquartier. Mit Bewunderung und Stolz hat das deutsche
Volk die Helden von Tsingtau die Errungenschaften deutscher Kultur-
arbeit verteidigen sehen. Nun haben sie der Uebermacht des neid-
erfüllten Feindes weichen müssen. Tiefster Schmerz ohne Klage bewegt
unser aller Herz angesichts des Verlustes eines Kulturwerks, dem Eure
Exzellenz in so umfassender Weise Ihre Kraft und Tätigkeit gewidmet
haben. Aber größer ist unser Glaube und unsere Zuversicht, daß