Full text: der Weltkrieg 1914. Band 2. (1)

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worden, Deutschland, Oesterreich und Italien auf der einen, Rußland, 
Frankreich und wir auf der andern Seite. Die Folgen dieser Politik sind 
Argwohn und Kriegsrüstungen. Ihr Ziel ist der Krieg und die Störung 
des „Gleichgewichts“. Kommt der Krieg, dann ist er unvermeidlich allge- 
mein. Jede Macht hält sich an dem einen oder andern Tauende fest, und 
gleitet eine von ihnen aus, so werden ihre Verbündeten mitgeschleppt. Wir 
wissen aus praktischer Erfahrung, daß die schlimmste Art von Bundesgenos- 
senschaft die Entente ist. Ein Bündnis ist etwas Deutlichumschriebenes. 
Jeder ist dabei von seiner Verantwortung durchdrungen. Die Entente, das 
„Einvernehmen“, jedoch ist ein Völkerbetrug. Als Herr Asquith und Sir 
Edward Grey immer und immer wieder im Unterhause die Versicherung 
gaben, daß wir durch unser „Einvernehmen“ keine Verpflichtung auf uns 
genommen hätten, da behaupteten sie etwas, das buchstäblich zwar eine 
Wahrheit, in Wirklichkeit aber eine Lüge war. Hätten wir ein genau um- 
schriebenes Bündnis mit Frankreich und Rußland gehabt, dann wäre der 
Unterschied der gewesen, daß wir und alle andern um uns gewußt hätten, 
woran wir uns zu halten hätten und inwieweit uns die Hände gebunden 
seien, und dann hätte sich höchstwahrscheinlich der Krieg abwenden sassen. 
Italien durfte frei bleiben, weil sein Bündnis ihm nur geringe Verpflich- 
tungen auflegt. Wir dagegen sind in den Krieg gezerrt worden, weil wir 
durch unser „Einvernehmen“ in eine Verwicklung gezogen wurden. Z 
Aus der am 3. August von Sir Edward Grey gehaltenen Rede wie auch 
aus dem Weißbuch lohnt es sich, zu ermitteln, inwiefern er sich selbst in diese 
Maschen des Ententenetzes verfangen hat. Als Einleitung dazu dienten die 
Besprechungen zwischen französischen und englischen Sachverständigen von 
Heer und Flotte im Jahre 1906. Daraus entsprossen Pläne 
für Kriegshandlungen von Heer und Flotte, die Frankreich und 
England gemeinschaftlich ausführen sollten. Demgemäß wurde 
die französische Nordküste ohne Schutz durch die französische Flotte 
gelassen. Als Sir Edward Grey sich bemühte, uns für das 
System durch die Behauptung einzunehmen, daß die französische Küste 
schutzlos sei, unterließ er, uns mitzuteilen, daß es eben schon abgeredet war, 
sie solle unbeschützt bleiben und die französische Flotte habe sich im Mittel- 
meer zu sammeln. Diese Besprechungen hatten schon etwa sechs Jahre ge- 
dauert, ohne daß das Kabinett darum gewußt oder sie gutgeheißen hatte. 
Die militärischen Pläne wurden nach Petersburg gesandt, und ein Groß- 
fürst — so behaupten gut unterrichtete Personen —, der mit amtlichen 
deutschen Persönlichkeiten in Rußland Beziehungen unterhielt, sandte sie 
seinerseits zur Einsicht nach Berlin. Es war Deutschland schon seit Jahren 
bekannt, daß wir mit den Franzosen militärische Vereinbarungen hatten, 
und daß Rußland sich nach diesen Plänen richtete. Wir hatten uns durch 
das französisch-russische Bündnis so stark binden lassen, daß am 3. August 
Sir Edward Grey bekennen mußte, obschon unsere Hände fret seien, sei 
unsere Ehre verpfändet. 
Die Regierung hatte sich die Hände so weit gebunden, daß Sir Edward 
Grey jeden Vorschlag, den Deutschland ihm machte, damit wir neutral 
blieben, rundweg von der Hand wies. Darum war es ihm, als er im Unter- 
haus eine Übersicht der gepflogenen Unterhandlungen gab, unmöglich uns 
die ganze Wahrheit zu sagen, oder bei seinen Darlegungen unparteiisch zu 
bleiben. Er verspottete die Versicherung Deutschlands mit Bezug auf die 
belgische Frage mit der Behauptung, nur der Gebietsbestand und nicht die
	        
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