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10 Apreil 1908 hat der Chef des belgischen Generalstabs mit dem dama-
ligen englischen Militärattaché in Brüssel Oberstleutnant Barnardiston
auf dessen Anregung in wiederholten Beratungen einen eingehenden
Plan für gemeinsame Operationen eines englischen Expeditionskorps
von 100 000 Mann mit der belgischen Armee gegen Deutschland aus-
gearbeitet. Der Plan fand die Billigung des Chefs des englischen
Generalstabs Generalmajors Grierson. Dem belgischen Generalstab
wurden alle Angaben über Stärke und Gliederung der englischen
Truppenteile, über die Zusammensetzung des Expeditionskorps, die Aus-
schiffungspunkte, eine genaue Zeitberechnung für den Abtransport und
dergl. geliefert. Auf Grund dieser Nachrichten hat der belgische General-
stab den Transport der englischen Truppen in das belgische Aufmarsch-
gebiet, ihre Unterbringung und Ernährung dort eingehend vorbereitet.
Bis in alle Einzelheiten ist das Zusammenwirken sorgfältig ausge-
arbeitet worden. So sollten der englischen Armee eine große Anzahl Dol-
metscher und belgische Gendarmen zur Verfügung gestellt und die nötigen
Karten geliefert werden. Selbst an die Versorgung englischer Ver-
wundeter war bereits gedacht worden.
Dünkirchen, Calais und Boulogne waren als Ausschiffungspunkte
für die englischen Truppen vorgesehen. Von hier aus sollten sie mit
belgischem Eisenbahnmaterial in das Aufmarschgebiet gebracht werden.
Die beabsichtigte Ausladung in französischen Häfen und der Transport
durch französisches Gebiet beweist, daß den englisch-belgischen Verein-
barungen solche mit dem französischen Genevalstab vorausgegangen
waren. Die drei Mächte haben die Pläne für ein Zusammenarbeiten
der „verbündeten Armeen“, wie es im Schriftstück heißt, genau festgelegt.
Dafür spricht auch, daß in den Geheimakten eine Karte des französischen
Aufmarsches gefunden worden ist.
Das erwähnte Schreiben enthält einige Bemerkungen von beson-
derem Interesse. Es heißt dort an einer Stelle, Oberstleutnant Bar-
nardiston habe bemerkt, daß man zurzeit auf die Unterstützung Hollands
nicht rechnen könne. Er habe ferner vertraulich mitgeteilt, daß die
Englische Regierung die Absicht habe, die Basis für den englischen Ver-
pflegungsnachschub nach Antwerpen zu verlegen, sobald die Nordsee von
allen deutschen Kriegsschiffen gesäubert sei. Des weiteren regte der
englische Militärattaché die Einrichtung eines belgischen Spionage-
dienstes in der Rheinprovinz an.
Das vorgefundene militärische Material erfährt eine wertvolle Er-
gänzung durch einen ebenfalls bei den Geheimpapieren befindlichen
Bericht des langjährigen belgischen Gesandten in Berlin Baron Greindl
an den belgischen Minister des Aeußern, in dem mit großem Scharf-
sinn die dem englischen Angebot zugrunde liegenden Hintergedanken
enthüllt werden und in dem der Gesandte auf das Bedenkliche der
Situation hinweist, in die sich Belgien durch eine einseitige Partei-
nahme zugunsten der Ententemächte begeben habe. In dem sehr aus-
führlichen Bericht, der vom 23. Dezember 1911 datiert ist und dessen
vollständige Veröffentlichung vorbehalten bleibt, führt Baron Greindl
aus, der ihm mitgeteilte Plan des belgischen Generalstabs für die Ver-
teidigung der belgischen Neutralität in einem deutsch-französischen Kriege
beschäftigte sich nur mit der Frage, was für militärische Maßnahmen für