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zu fechten, wenn wir nicht herausgefordert sind, wäre klar eine Ver-
letzung unserer Verträge. Die Lockungen der Triple-Entente sind nur
eine Falle. Wenn wir darauf hineinfallen, wird niemand uns mehr
trauen. Wenn wir Oesterreich anfallen, so werden uns Oesterreich und
Deutschland beim endlichen Frieden hassen, und die anderen Mächte, was
sie auch saen werden, werden uns verachten; als eine stark bewaffnete
neutrale Nation, welche kriegsbeteit ist, ihre Interessen zu schützen, fünd
wir in einer besseren Lage.“
Der dritte Artikel trägt die Ueberschrift: „Des Königs Haltung.“
„Hätte es keinen Krieg in Tripolis gegeben, heißt es da, so würde
Italien wahrscheinlich nicht neutral wie heute sein; aber jene starke Er-
fahrung hat manchen Heißsporn gezähmt; allgemein sagt man, daß der
König seine Meinung dahin erklärt hat, daß ohne entscheidende Heraus-
. eine andere. als eine neutrale Haltung Italiens unehrenhaft
ein würde. Das hat einen grohen Eindruck auf die Oeffentlichkeit ge-
macht. Die Zeitungen bringen stetige Berichte vom Zwiespalt zwischen
dem Kriegsminister und dem General Cadorna, dem Haupt des General-
stabes. General Grandi und General Tassoni, der Minister und der
Unterstaatssekretär des Krieges, haben tatsächlich abgedankt. Aber es
sind keine Zeichen vorhanden, daß die Kriegspartei Aussicht hat, die
Oberhand zu bekommen.“
Es ist überflüssig zu sagen, die österreichische Diplomatie ist in der
Sache sehr tätig, und beide, Oesterreich und Deutschland, tun alles, um
irgendeinen Zwischenfall zu vermeiden, der Italien einen Kriegsanlaß gäbe.
Englische Unzufriedenheit mit der russischen Kriegführung.
W.T. B. London, 18. Oktober. Der militärische Mitarbeiter der
„Morningpost“ schreibt: Es sei klar, daß im Osten die Entwicklung nicht
ganz erwartungsgemäß vonstatten gehe. Die Schlacht, die in der Nähe
Krakaus erwartet wurde, werde viel weiter östlich geschlagen werden. Die
Russen, die zu Beginn des Krieges die Initiative ergriffen hätten, seien
inzwischen genötigt worden, diesen Vorteil aufzugeben und dem Gegner den
Angriff zu überlassen. Die vorrückenden deutschen Truppen seien aus
diesem Grunde imstande gewesen, die Weichsel ohne besonderen Widerstand
u überschreiten. Der Mitarbeiter bemerkt weiter, die Bedeutung von
Premwoel trete jetzt klar zutage, und es sei bedauerlich, daß es nicht gelang,
die Festung zu nehmen. ·
Trostlose Lage in Kiew.
W.T.B. Konstantinopel, 18. Oktober. Das hier erscheinende
persische Blatt „Haver“ veröffentlicht einen Brief seines Kiewer Kor-
respondenten, in dem erzählt wird, daß in den letzten Tagen 25 000 russische
Verwundete in Kiew eintrafen. Sie sind in der Nacht in die Spitäler
übergeführt worden, um nicht die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich
zu ziehen. Alle öffentlichen Anstalten und großen Gebäude wurden in
Spitäler umgewandelt. Die Verwundeten heben die Tapferkeit der
deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen lobend hervor. Die russischen
Behörden nehmen der Bevölkerung alles Hartgeld und verfügen darüber,
indem sie es gegen Papiergeld umwechseln. Das Getreide der musel-
manischen Bauern wird um geringes Entgelt requiriert. Die Militär-