Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Erster Band. Deutsches Reich. (1)

8 81. VIII. Gewerbliche Arbeiter (Gesellen, Gehülfen rc.). 259 
ein materielles Gesetz oder doch eine dem Gesetze ähnliche einseitige 
Anordnung des Arbeitgebers sehen. Bezüglich des hierbei angenommenen 
Rechts des Arbeitgebers zum einseitigen Erlaß der Arbeitsordnun 
wird die Grundlage dieses Rechts verschieden konstruiert. Die einen 
gewähren ihm dasselbe nur kraft staatlicher Delegation, während andere:) 
darin ein eigenes Recht unter staatlicher Anerkennung erblicken. 
Neben diesen beiden Haupttheorien bestehen noch Mittelmeinungen, 
von denen einige als die wichtigsten hervorzuheben sind. So vertritt 
Köhnes) den Standpunkt, daß die Arbeitsordnung eine einseitige, für 
den Vertrag maßgebende Erklärung des Arbeitgebers sei und daher, 
auch sofern sie obligatorisch ist, als Vertragsinhalt zu bezeichnen ist. 
Ahnlich sieht Kohler") in der Arbeitsordnung eine „einheitliche privat- 
rechtliche Erklärung, welche Rechte und Pflichten begründet und zwar 
ohne Rücksicht auf irgendwelche Annahme von anderer Seite, sie ist 
also keine Offerte, sondern eine einseitige Rechtshandlung.“ 
Eine besondere Ausgestaltung hat die besonders von Rehm vertretene 
publizistische Theorie neuerdings durch Oertmanns) erhalten, welcher 
in der Arbeitsordnung ein autonomes, kraft staatlicher Anerkennung 
geltendes Recht eines engeren Lebenskreises im Staate sieht. Die 
Arbeitsordnung bildet nach ihm das den gewerblichen Verband beherrschende 
Grundgesetz, welches der Arbeitgeber als das vornehmste Organ dieses 
Verbandes erläßt. Es werde damit gewissermaßen eine objektive 
Ordnung geschaffen, welche ähnlich dem Verfassungsgrundgesetz eines 
Staates wirkt. 
So geistreich und ansprechend diese Begründung der publizistischen 
Theorie auf den ersten Blick vgl. Schultzenstein im Juristischen Literatur- 
blatt Nr. 167 vom 15. September 1905 erscheint, so schießt sie doch 
weit über das Ziel der gegenwärtigen gültigen gesetzlichen Bestimmungen 
hinaus. Es hieße den Zweck und die Grundlage der Arbeitsordnung 
verkennen, wenn man derselben nur eine publizistische Natur zusprechen 
würde. Sie ist in erster Linie unverrückbare Grundlage und Bestand- 
teil des Arbeitsvertrages und dient zur Aufrechterhaltung der Betriebs- 
ordnung. Die dominierende Stellung des Arbeitgebers bei Erlaß 
derselben erklärt sich aus seinem Eigentumsrecht an der Betriebsstätte, 
der Leitung des Betriebes und aus seiner Verantwortlichkeit für die 
Aufrechterhaltung der Betriebsordnung und für die Wahrung der 
Betriebssicherheit. Da der Betrieb und dessen Sicherheit polizeilichen 
Vorschriften unterliegt, sind ohne Rücksicht auf den sonstigen Inhalt 
des Arbeitsvertrages gewisse Vorschriften öffentlichen Rechts in der 
Arbeitsordnung zu berücksichtigen. Deshalb kann auch die Befolgung 
dieser Vorschriften durch Strafbestimmungen gesichert werden. Die 
Arbeitsordnung ist daher im wesentlichen nichts anderes als eine 
1) So Bornhak, Jellineck. 
„) So Rehm, a. a. O. S. 155. 
) Arbeitsordnungen im deutsch. Gewerberecht. Berlin 1901 S. 112 ff. 
4) In v. Holtzendorffs Enzyklopädie Bd. 1 S. 641—642. 
) In d. Festgabe für Hübler. Die rechtl. Natur der Arbeitsordnung. Berlin 
S. 16 ff. 23 ff. 26, 27. 
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