§ 28. Die Gründung des Deutschen Reichs. 55
Preußen Vorstellung und Bedingungen zu machen, infolge deren am
19. Juli 1870 die Übergabe der französischen Kriegserklärung erfolgt.
Die süddeutschen Staaten schließen sich unverzüglich auf Grund des
bestehenden Schutz= und Trutzbündnisses der Kriegsrüstung des Nord-
deutschen Bundes an.
Während des Krieges regt Bayern an, daß an die Stelle der
völkerrechtlichen Verträge des Nordens mit dem Süden eine einheit-
liche Verfassung trete. 1) Es finden diesbezügliche Besprechungen von
Preußen, Bayern, Württemberg in München unter Leitung von v. Del-
brück statt.
Inzwischen war ein Antrag Badens und Hessens (für das Gebiet
südlich des Mains) auf Aufnahme in den Norddeutschen Bund gestellt
worden. Nunmehr fanden die weiteren Beratungen in Versailles statt.
Es wurden folgende Verfassungsverträge abgeschlossen:
a) ein Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bunde und Baden und
Hessen über die Gründung eines Deutschen Bundes und die Annahme
einer Bundesverfassung vom 15. November 1870 (BGBl. S. 627 ff.)
zu Versailles geschlossen;
b) ein Vertrag dieser Kontrahenten mit Württemberg über den Bei-
tritt Württembergs zum Deutschen Bunde vom 25. November 1870
(BEl. S. 654 ff.) zu Berlin geschlossen;
) ein Vertrag über Bayerns Beitritt zur Verfassung des Deutschen
Bundes (B l. 1871 S. 9 ff.) vom 23. November 1870 zu Versailles
geschlossen.
Die Verträge wurden dem Norddeutschen Reichstage zur verfassungs-
mäßigen Genehmigung vorgelegt, sodann in den süddeutschen Kammern
genehmigt. Alsdann fand ihre Ratifikation statt.
Der Geltungsbeginn des neuen Reichs wurde auf den 1. Januar
1871 festgesetzt. Wilhelm I. proklamierte in Versailles am 18. Januar
1871 die Annahme der Kaiserkrone.
Bei den Novemberverträgen handelt es sich nur um die Vergrößerung
eines bestehenden Bundesstaates. Der Norddeutsche Bund ist bestehen
geblieben, das Deutsche Reich ist also seine Fortsetzung; in diesem
Sinne kann man auch sagen, das Deutsche Reich sei der Rechtsnach-
folger des Norddeutschen Bundes.“)
v. Sybel, Begründung des Deutschen Reichs durch Wilhelm I. Bd. 5 u. 6. Fürst
Bismarck, Gedanken u. Erinnerungen. 1898. R. v. Delbrück, Lebenserinnerungen. 1905.
1) Die Bundesverfassung bestimmte in Art. 79 Abs. 1: „Die Beziehungen des
Bundes zu den süddeutschen Staaten werden sofort nach Feststellung der Verfassung
des Norddeutschen Bundes, durch besondere dem Reichstage zur Genehmigung vor-
zulegende Verträge, geregelt werden.“ Und der auf Antrag von Lasker hinzu-
gefügte Abs. 2 des Art. 79 lautete: „Der Eintritt der süddeutschen Staaten oder
eines derselben in den Bund erfolgt auf den Vorschlag des Bundespräsidiums im
Wege der Bundesgesetzgebung“.
2) A. A. Zorn, Staatsr. 2. Aufl. 1895/97 Bd. 1 S. 54, Seydel, Dahn, welche
der Ansicht sind, daß der Norddeutsche Bund durch Gründung des Reichs erloschen
und daher das Deutsche Reich nicht Rechtsnachfolger sei.