58 2. Buch. 2. Abschnitt. Verfassungsrecht des Deutschen Reiches.
1. Allgemeine Mitgliedschaftsrechte und Pflichten. Hervor-
zuheben ist hierbei die grundsätzlich gleichmäßige Behandlung aller
Staaten, z. B. Recht auf militärischen und diplomatischen Schutz, auf
Inanspruchnahme der Reichsbehörden, Reichseinrichtungen, Recht auf
Vertretung im Bundesrate und Reichstage. Dem steht gegenüber an
Pflichten anteilsgemäße Tragung militärischer und finanzieller Lasten.
Ihr Inhalt kann durch die Reichsgesetzgebung auf dem Wege der
Verfassungsänderung, aber immer nur allen Mitgliedern gegenüber
gleichmäßig, verändert werden.
2. Sonderrechte (iura singularia)
a) verliehene z. B. die Präsidialrechte Preußens (Art. 11);
b) zurückbehaltene, sog. Reservatrechte, besonders Bayerns, Wurtem-
bergs. Unter den verliehenen Sonderrechten Bayerns sind zu. nennen:
a) 6 Stimmen im Bundesrat (ebenso im Zollvereinsvertrag vom
8. 7. 1867 Art. 8 § 1);
6) ständiger Sitz im Bundesratsausschusse für Landheer und
Festungen (Art. 8 Abs. 2);
7) Vorsitz im Bundesratsausschusse für auswärtige Angelegenheiten
(Art. 8 Abs. 2);
A) Vertretung verhinderter Reichsgesandten durch bayrische (Schluß-
protokoll vom 23. Nov. 1870 VII;
— im Bundesrate bei Verhinderung Preußens (Schluß-
prot. IX);
5ö Ausprägung von Halbpfennigen (Ges. vom 4. Dez. 1871 § 13).
Unter den Reservatrechten Bayerns sind zu nennen:
a) Heimat= und Niederlassungswesen (Art. 4 Z. 1);
6) Verehelichungswesen (Schlußprot. 1);
7) Immobiliarversicherungswesen (Schlußprot. IV);
) Militärwesen (Schlußbest. zu Abschn. IX RV. und Bündnis-
vertrag vom 23. Nov. 1870);
e) Post= und Telegraphenwesen (Art. 52);
5) Eisenbahnwesen (Art. 46);
)) Bierbesteuerung (Art. 35 Abs. 2);
5) Konzession von Notenbanken mit einer Notenemission bis
70 Millionen Mark (Bankges. vom 14. 3. 1875 § 47 Abs. 3).
Nicht als Reservatrecht ist zu betrachten das Institut des obersten
Landesgerichts, weil EG. z. GV. 8§ 8 einen allgemeinen, für alle
Bundesstaaten geltenden Grundsatz ausstellt.
Die Reservatrechte Württembergs betreffen das Militärwesen, Brau-
steuer, Post= und Telegraphenwesen. Sachsen hat ein Recht auf Sitz
im Bundesratsausschusse f. ausw. Angel.
3. Individualrechte der Einzelstaaten (iura singulorum),
d. s. alle Rechte, welche die souveränen Einzelstaaten noch nicht dem
Reiche übertragen haben. Im Zweifel sind die Einzelstaaten als
berechtigt anzusehen; denn die Reichsgewalt steht zur Einzelstaatsgewalt
im Verhältnisse der Ausnahme zur Regel. Auch haben die Einzel-
staaten aus der Fülle ihrer Souveränität nur auf einzelne Rechte zu-
gunsten der Zentralgewalt verzichtet. Vor allem gehört hierher das