Artikel 16. Derogatorische Wirkung des Artikels. 315
das Aufhören der Verwaltung der Kirche durch den Staat. Er gibt
in diesem Sinne der Kirche Freiheit vom Staat: eine keineswegs un-
beschränkte, sondern rechtlich beschränkte Freiheit, Freiheit nach Maß-
gabe der Staatsgesetze. Der Artikel verbietet nicht sowohl nicht, er
bedingt vielmehr das Dasein einer gesetzlich geordneten Staatskirchen-
hoheit. Er fordert, daß diese Staatskirchenhoheit sich als Aufsichts-
gewalt (die Kirche beschränkend), er gestattet ferner, daß sie sich
auch als Advokatie (die Kirche schützend und fordernd) betätige.
Die Gesetzgebung ist endlich durch ihn nicht gehindert, die eine wie
die andere Seite der Staatskirchenhoheit den einzelnen Kirchen und
Religionsgesellschaften gegenüber verschiedenartig zu gestalten (s. oben
S. 306): „Besondere“ Gesetze über das Verhältnis des Staates zu den
Religionsgesellschaften sind durch Art. 15 in keinem Sinne ausgeschlossen.
Nach diesen Gesichtspunkten ist die Einwirkung des Art. 15 auf
das von ihm vorgefundene Recht, seine derogatorische Wirkung,
zu beurteilen. Dieses ältere Recht ist beseitigt, soweit es den oben
dargelegten Prinzipien des Artikels zuwiderläuft, dagegen in Kraft ge-
blieben, soweit es mit ihnen verträglich ist (vgl. auch Art. 109). Durch
die Aufhebung des Artikels (oben S. 292) sind die von ihm bewirkten
Rechtsänderungen nicht rückgängig gemacht, aufgehobene Bestimmungen
des äleren Rechts also nicht neuerdings wieder in Kraft gesetzt worden.
I. Unverträglich mit Art. 15 sind alle Sätze und Institutionen
des älteren Rechts, welche auf dem Gedanken der Einheit von Staat
und Kirche beruhen oder diesen Gedanken — das Staatskirchentum —
in irgend einer Art zum Ausdruck bringen, einschließlich derer, welche
die Kirche als Teil oder organische Gliederung des Staatsganzen er-
scheinen lassen, die Kirchenangelegenheiten als Staatsangelegenheiten,
die Kirchengewalt als eine dem Staate zustehende Gewalt behandeln.
Unverträglich fermer solche Vorschriften, welche, ohne ausdrücck-
liche Hervorhebung oder Betonung des Einheitsgedankens, dem Staate
die Verwaltung oder auch nur Mitverwaltung der kirchlichen Ange-
legenheiten („positive Teilnahme“ im Sinne der „Erläuterungen“, vgl.
oben S. 283) einräumen.
II. Verträglich dagegen mit Art. 15 sind solche Rechtssätze und
Einrichtungen, welche nicht eine Anteilnahme des Staates an der
tkirchlichen Verwaltung, sondern eine hoheitliche, aufsichtliche Be-
tätigung des Staates gegenüber dieser Verwaltung (den Gedanken
des von den „Erläuterungen“", s. oben S. 283, so bezeichneten
„negativen Rechts“") verkörpern, oder welche sich doch unter diesem
Gesichtspunkte auffassen und rechtfertigen lassen. So auch die Erklärung