Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

46 Entstehung des Oktroyierungsgedankens. 
wörtlich: „Wir sprachen nun noch von der Auflösung der Kammer 
(d. h. der Nat Vers) und von dem, was damit zusammenhängt. Die 
Möcglichkeiten sind: 1. Ajournieren; Wiederversammeln an einem andern 
Ort, etwa in Brandenburg, Vorlage eines neuen Verfassungsentwurfs, 
enthaltend ein Wahlgesetz nach den vier Ständen: Rittergutsbesitzer, 
Bauergutsbesitzer, Städte, Arbeiter; 2. Auflösen, eine Wahl nach dem 
letzten Wahlgesetz gibt eine schlechtere Versammlung, Wahl nach dem neuen 
Wahlgesetz, nach direkten Wahlen, nach Ständen; 3. Oktroyieren 
einer Verfassung, allen falls der Belgischen.“ — Die Entstehung 
des Gedankens läßt sich indessen, was bisher nicht bekannt war, noch 
etwas weiter zurückverfolgen. Sie steht im Zusammenhang mit dem 
ersten offenen Konflikt, der zwischen der Regierung und der NatVers 
Anfangs September 1848 ausbrach und zum Rücktritt des Ministeriums 
Auerswald-Hansemann führte. 
Am 31. Juli kam es in Schweidnitz infolge von Straßenunruhen 
zu einem Zusammenstoß zwischen Volk und Militär, wobei es mehrere 
Tote gab. Darauf beschloß (9. August) die Nat Vers auf den Antrag 
des Abg. Stein, die Regierung aufzufordern, sämtliche Offiziere darauf 
hinzuweisen, daß sie „allen reaktionären Bestrebungen fernzubleiben 
und mit Eifer und Hingebung an der Verwirklichung der konstitutionellen 
Einrichtungen mitzuarbeiten“ hätten. Dieser Aufforderung kam das 
Staatsministerium nicht nach, worauf der Ministerpräsident Auerswald 
von Pöbelmassen in seiner Wohnung bedroht wurde und die Nat Vers 
ihre Resolution vom 9. August am 7. September wiederholte. Die 
abermalige, gegen den Widerspruch des Ministeriums erfolgte Annahme 
des Antrags Stein erregte — als angeblicher Eingriff der Nat Vers 
in die Regierungs= und Kommandogewalt der Krone — große Ent- 
rüstung im Lande, bis tief in die liberalen Kreise hinein, eine 
Stimmung, die sich in mehreren Ergebenheitsadressen an den König 
kundgab, worin um Auflösung der NatVers gebeten und den 
Ministern schwächliche Haltung vorgeworfen wurde (Iich entnehme dies 
und das folgende den schon oben 38 in Bezug genommenen Akten 
des k. Hausarchivs). Diese Kundgebungen und ihre Veranlassung 
wurde von der den König umgebenden „Kamarilla“, wie es scheint, 
sofort benutzt, um Friedrich Wilhelm IV. nicht sowohl gegen die 
Nat Vers, als gegen die Minister — das damals noch am Ruder be- 
findliche Kabinett Auerswald-Hansemann — scharf zu machen. Wenige 
Tage nach der zweiten Annahme des Antrags Stein erbat und erhielt 
das Staatsministerium seine Entlassung, und in diesem Zeitpunkte und 
Zusammenhange wurde dem König aus dem Kreise seiner unverant-
	        
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