Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Die Gründe der Oktroyierung. 51 
der Kamarilla, voran die Generale Gerlach und Rauch, die man sich 
ja im übrigen sehr gut als Wortführer borussischer Abgeneigtheit gegen 
das „Aufgehen in Deutschland“ denken könnte, ist hier nicht zu denken, 
denn sie standen in der Oktroyierungsfrage auf der Seite des Königs. 
Bleiben also nur die Minister, Graf Brandenburg und seine Amtsge- 
nossen. Daß diese die eigentlichen Träger des Oktroyierungsgedankens 
gewesen sind, ist oben gezeigt worden. Lagen ihre Motive aber wirk- 
lich da, wo Meinecke sie sieht? Die Quellen enthalten nichts, was zu 
dieser Vermutung zwingt oder auch nur dazu berechtigt. Bis zum 
Beweis des Gegenteils ist doch wohl anzunehmen, daß der Blick der 
Minister, als sie die Oktroyierung anrieten und durchsetzten, auf die 
zu nächstliegenden Staatsnotwendigkeiten gerichtet war, auf das 
Hemd, nicht auf den Rock, nach innen und nicht nach außen. Die 
innere Lage des preußischen Staates war, so wie sie um die Zeit der 
Oktroyierung ging und stand, unhaltbar, unhaltbar geworden durch die 
monatelange Verzögerung des Verfassungswerkes, durch die Tat= und 
Entschlußlosigkeit der seit dem Frühjahr 1848 einander abwechselnden 
Ministerien, von denen keines imstande gewesen war, den Radikalismus 
der Nat Vers zu besiegen, den im Lande immer noch fortschwelen- 
den, immer wieder aufflammenden Brand der Revolution zu löschen. 
Der Staat stand, wie es in einem von der Regierung gleich nach der 
Oktroyierung (6. Dez. 1848) zu deren Rechtfertigung verfaßten und 
verbreiteten Flugblatt heißt, da „mit halbgebrochener Kraft zwischen 
Absolutismus und Anarchie in ungewissem Schwanken“. So ging es 
nicht weiter und es gab da, nachdem die Lage seit Monaten immer 
mehr verfahren war, auch kein Abwarten und kein Stehenbleiben mehr, 
sondern nur die Wahl zwischen zwei Wegen: entweder zurück zum Ab- 
solutismus oder vorwärts zum Konstitutionalismus. Die Entscheidung 
konnte für eine Regierung wie die des Grafen Brandenburg nicht 
zweifelhaft sein. Dieses Ministerium hatte sich, bei aller Betonung der 
Staatsautorität und des rücksichtslosen Gegensatzes zur Revolution unbe- 
dingt auf die endliche Erfüllung der Märzverheißungen festgelegt: es 
konnte nur den zweiten der beiden Wege wollen. Und weil es ihn 
gehen wollte, mußte es sich entschließen, ihn ohne die Nat Vers zu gehen, 
denn eine Verständigung mit ihr war, bei dem ausartenden Radikalis- 
mus ihrer Mehrheit ebenso ausgeschlossen, wie eine Unterwerfung unter 
die Tendenzen dieser Mehrheit. So blieb für eine ehrlich monarchische und 
zugleich ehrlich konstitutionelle Regierung — und eine solche ist das Ministe- 
rium Brandenburg immer gewesen — nichts übrig, als der Verzicht auf 
den Vereinbarungsgedanken, der Weg der Oktroyierung. Die 
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