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indessen ist das Gegentheil der Fall. Einerseits begünstigt die Souveränetät
des Parlaments jene des Gesetzes, einmal weil jedes Gesetz das überlegte
Resultat des Zusammenwirkens dreier Faktoren darstellt und plötzliche Ein-
griffe in den Rechtszustand (im Wege einseitig erlassener Ordonnanzen) aus-
geschlossen sind ; insbesondere aber dadurch, dass das Parlament niemals (ausser
in Zeiten der Revolution) direkte Executivgewalt ausgeübt hat, vielmehr die
Träger derselben immer die Diener der Krone waren und formell auch noch
sind und als solche die Eifersucht des Parlaments wachgerufen haben. Daher
hat dieses alle Exemtionen der Beamten mit Ungunst betrachtet, ebendes-
halb die Ausbildung des droit administratif verhindert, vielmehr die Unab-
hängigkeit und Autorität der Richter in aller und jeder Weise zu stärken
gesucht. Auf der andern Seite bietet umgekehrt die Suprematie des Rechts
eine besondere Veranlassung zur Ausübung der Souveränetät des Parlaments,
denn das starre Recht behindert die Executive beständig. Sie wäre nicht
im Stande, in Zeiten innerer Unruhen den Frieden im Lande zu erhalten,
oder im Kriegsfalle ihre Pflicht gegen die Nachbarstaaten zu erfüllen ohne
discretionäre Gewalten, die daher, weil von den Gerichten schlechterdings
nicht anerkannt, durch besondere Statuten vom Parlament bewilligt werden
müssen.
Die letzte (VIIL.) Vorlesung ist einer Betrachtung der sog. „Conventions“
gewidmet und zwar um des Zusammenhangs willen, in welchem dieselben zum
eigentlichen Verfassungsrecht stehen. Eine Prüfung ihres Inhalts zeigt, dass die
grosse Mehrzahl derselben die Ausübung der Königlichen Prärogative betreffen,
zum kleineren Theil auch jene der besonderen Privilegien der beiden Häuser.
Daher sind diese „Conventions* überhaupt Regeln, welche die Art und Weise
betreffen, wie ein jedes der Mitglieder des King in Parliament seine discre-
tionäre Gewalt auszuüben hat: die Krone die Prärogativen und die beiden
Häuser die ihnen zustehenden Privilegien. Das gemeinsame Endziel derselben
ist dem Willen des Hauses der Gemeinen und in letzter Instanz jenem der
souveränen Wähler Ausdruck zu verschaffen. Daher ist es Grundsatz, dass
die Krone die Minister aus Mitgliedern der beiden Häuser zu erwählen hat,
die sich im Besitze des Vertrauens des Hauses der Gemeinen befinden ;
insonderheit aber ist anerkannt, dass die Krone berechtigt ist, zu einer
Auflösung dieses Hauses zu schreiten, wenn Grund zur Annahme vorhanden
ist, dass der Wille des Parlaments nicht jenen der Wähler zum Ausdruck
bringt. Dieses Recht der Auflösung ist nothwendig, weil nur so dem Willen
des wahren Souveräns im Gegensatz zu dem des gesetzlichen Souveräns Aus-
druck verschafft werden kann.
Wenn nun derartige Regeln ebenso wie Gesetze befolgt werden, so
liegt der Grund dafür nicht sowohl in der Möglichkeit einer Ministeranklage
durch das Parlament (impeachment), noch in der Kraft der öffentlichen
Meinung, sondern ganz eigentlich in der zwingenden Natur des objektiven
Rechtes selbst. Denn derartige Vorschriften können nicht missachtet werden,
ohne den Ungehorsam in Conflict mit dem Rechte selbst zu bringen. Würde
beispielsweise der Grundsatz jährlicher Berufung des Parlaments nicht be-
beachtet, so könnte mangels einer Erneuerung der jährlichen Mutiny-Acte die
Disziplin in der Armee nicht aufrecht erhalten werden, ferner könnte ein
beträchtlicher Theil der Staatseinkünfte nicht erhoben und endlich könnte
kein Heller verausgabt werden, ohne alle betheiligten Personen in empfind-