Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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stand, sondern Alles auf Praxis beruhte, so dass z. B. auch die 
einzeln gefassten finanzielle Beschlüsse (nicht bloss das Budget) 
dem Volke nicht vorgelegt wurden und auf dem Wege der „landes- 
polizeilichen Verordnung“ selbst wichtige Gesetze, wie die oben 
schon erwähnte Forstordnung, durch den Grossen Rath allein er- 
lassen wurden !°). Würde diese Schwierigkeit in der Definirung 
nicht bestehen und zugleich im concreten Falle die Bevölkerung 
hinreichend befähigt und charaktervoll zur Ausübung des Gesetz- 
gebungsrechtes erscheinen, so wäre das obligatorische Referendum 
überall in einem Einheitsstaate die zweckmässigste der Formen 
dieser demokratischen Institution. Sie allein macht das Volk in 
Wirklichkeit zum Gesetzgeber und gibt ihm das wahre und erhebende 
Bewusstsein, seine Geschicke in eigener Hand zu behalten, bei 
allen anderen Einrichtungen ist diess nicht der Fall. Ebenso wird 
allein durch das obligatorische Referendum der Zweck erreicht, 
das gesammte Volk mit seiner Gesetzgebung vertraut zu machen 
und es beständig auf dem Laufenden zu erhalten. Alle anderen 
Einrichtungen erreichen diess nur theilweise und unvollständig; 
sie verlegen es in die zufällige Willkür einzelner Parteien oder 
der Repräsentantenversammlung selbst, welche Gegenstände von 
dem Volke und welche ohne (dasselbe beschlossen werden sollen. 
Endlich hat das obligatorische Referendum den ungemein grossen 
Vortheil, dass es ohne alle Agitation ganz ruhig vor sich geht 
und die Leidenschaften in weit geringerem Massstabe entzündet 
als einzelne der anderen Einrichtungen, die stets mit einer ab- 
sichtlichen Erregung des Volkes in’s Werk gesetzt werden müssen 
und hauptsächlich in dem unschwer zu erweckenden Misstrauen 
republikanischer Bevölkerungen gegen ihre Obrigkeiten einen nie 
versagenden Hebel besitzen, der aber auf die Dauer für das ge- 
sammte Staatsleben schädlich wirkt. Davon ist bei dem obliga- 
10%) Nirgends wird überhaupt dem Volke das Budget vorgelegt. Das 
Bernische Referendumsgesetz von 1869 hatte zwar den Versuch gemacht ein 
sogenanntes „vierjähriges Budget“, einen allgemeinen summarischen Voran- 
schlag für eine längere Finanzperiode votiren zu lassen. Der Versuch miss- 
lang aber vollständig, diese Voranschläge konnten nicht entfernt eingehalten 
werden. Jetzt hat das Volk bloss noch die Bestimmung des Steueransatzes 
und ein Finanzreferendum neben dem sonstigen.
	        
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