Die Gemeindeverfassung in Frankreich nach dem
Gesetze vom 5. April 1884.
Mitgetheilt durch
Prof. Dr. A. Weıss in Dijon,
und
Prof. Dr. G. BLoNDEL in Lyon.
Die Entwickelung des Gemeinderechts in Frankreich hat viele Hinder-
nisse überwinden und viele Missgeschicke erleiden müssen, seit der Zeit, da
König Ludwig VI. der Dicke, um Stützpunkte gegen die Ansprüche der
Leehnsherren zu gewinnen, den Städten grosse Freiheiten schenkte. Die bald
der argwöhnischen Eifersucht der Lehnsherren, bald den Centralisations-
bestrebungen der Könige ausgesetzten Gemeinden wurden erst wirklich frei
in der Zeit der französischen Revolution. Die Erklärung der Menschen- und
Bürgerrechte, die Aufhebung der veralteten Vorrechte, auf denen die alte
Staatsform gegründet war, haben bei uns das Communalleben erzeugt, und
den Städten, den Flecken, den Dörfern eine Selbstverwaltung und eine
grosse Unabhängigkeit in der Führung ihrer eigenen Angelegenheiten gegeben.
Ohne Zweifel haben die politischen und socialen Umwälzungen, deren Schau-
platz Frankreich seit dem Anfange dieses Jahrhunderts gewesen ist, eine
unläugbar nachtheilige Rückwirkung auf unsere Gemeindeverfassung geübt.
Die Freiheit ist ihnen mehr oder weniger kärglich, je nach dem Ursprung
und den Bestrebungen der verschiedenen Parteien, die nach einander zur
Regierung gelangten, bewilligt worden; und die verschiedenen Wahlsysteme,
nach welchen die Mitglieder des Magistrats bestimmt worden sind, haben
mit der Zeit den populären Forderungen der Demokratie mehr oder weniger
grossen Raum gegeben, jedoch sind die allgemeinen Prinzipien, auf welchen
unsere Gemeindeordnung durch die französische Revolution gestellt worden ist,
unverletzt geblieben. Die Gesetze des Kaiserreichs, der Monarchie und der
Republik haben sich meistens damit begnügt, die Anwendungen zu bestimmen
und dieselben in Einklang zu bringen mit der neuen Ordnung der Dinge.
Alle diese Gesetze, deren Zahl eine sehr grosse ist!), liegen so zu sagen auf
!) Unter den wichtigsten Gemeindegesetzen, die in Frankreich nach