Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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bilde geworden eines zusammengesetzten Staates, dessen juristische 
Konstruktion ja bis auf den heutigen Tag in der mannigfachsten 
Weise beliebt wird, der aber jedenfalls, nach der übereinstimmen- 
den Ansicht aller, im Gegensatze steht zu einem auf völkerrecht- 
licher Grundlage ruhenden Staatenbunde insofern, als die Central- 
regierung die ihr zustehende Souveränetät unmittelbar den 
Staatsbürgern gegenüber ausübt und innerhalb der ihr ver- 
fassungsmässig zugewiesenen Sphäre für die Rechtsbeständigkeit 
ihrer Akte keiner, sei es auch nur stillschweigenden oder recht- 
lich zu vermuthenden Ratihabition durch die Regierungen der 
Einzelstaaten bedarf, wie ich dies eingehender nachgewiesen habe 
in meiner Schrift über die Verfassung der nordamerikanischen 
Union Kap. 4, S. 54—61. 
In der Entwicklung jedes auf solcher Grundlage ruhenden 
Staatswesens müssen sich nun ganz selbstverständlich zwei Haupt- 
richtungen geltend machen: eine centrifugale oder partikularistische 
und eine centripetale oder nationalisirende; und man kann hinzu- 
fügen: solange nicht die eine oder die andere völlig und aus- 
schliesslich die Oberhand gewonnen hat, ist die Verfassungs- 
geschichte des betreffenden Landes nicht zum Abschluss gelangt. 
Ein zusammengesetzter Staat nach Art der Union ist ein jurl- 
stisches Zwitterwesen und begrifflich stets anzusehen als das Er- 
gebniss eines Uebergangsstadiums in dem politischen Bildungs- 
gange seines Volkes; „es mag in vielen Fällen geschehen, dass 
diese Zwitternatur nie gehoben wird, denn unberechenbare 'That- 
sachen durchkreuzen oft die Pläne selbst des weitestsehenden 
Staatsmannes; aber grundsätzlich und der Theorie nach muss in 
jedem zusammengesetzten Staate der Keim völliger Einigung oder 
gänzlicher Auflösung gefunden werden; das zeigt sich, wie ge- 
sagt, in der Praxis, d. h. in der Geschichte jedes solchen Ge- 
bildes durchweg bestätigt.“ 
Der Partikularismus geht darauf aus, die Centralgewalt nur 
als Mandatar der Partikulargewalten anzusehen und ihr dem- 
gemäss die Möglichkeit zu jeder gegen das Partikularinteresse 
gerichteten Thätigkeit zu nehmen; die centralisirende Strömung 
ist dem gegenüber in zweierlei Richtungen denkbar: entweder 
sie beschränkt sich nur darauf, die unbedingte Selbständigkeit 
der Centralregierung in den ihr verfassungsmässig gezogenen 
Grenzen voll und ganz zu wahren oder aber sie geht noch darüber
	        
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