— 47 —
in Elsass-Lothringen entbehrt sowohl des Rechtsinstituts der Heimath
wie des Unterstützungswohnsitzes im germanischen Sinne; vielmehr
sind die Institute, welche die Ausübung der localen Armenpflege zur Auf-
gabe haben, der Gemeindeverwaltung coordinirt und der einjährige Un-
terstützungswohnsitz des Vendemiairegesetzes begründet eine finanzielle
Verpflichtung der Gemeinden, sich der einzelnen Fälle anzunehmen,
nicht; er findet eine unmittelbare Anwendung nur in denjenigen Ge-
bieten der Armenpflege, auf denen der Boden der allgemeinen, einer
Zwangspflicht abholden Grundsätze verlassen ist?®). Der Elsass-
Lothringer ist daher während seines Aufenthaltes im Geltungsbereiche
des U.W.G. in derselben günstigen Lage wie der Bayer, während die
elsass-lothringische Regierung die Zurücknahme Hülfsbedürftiger in
jenes Gebiet jederzeit fordern kann.
Für das Verhältniss Bayerns zu Elsass-Lothringen könnte man
in dieser Beziehung, da das eine Territorium kein die Gemeinden
allgemein zur Fürsorge verpflichtendes Armenrecht besitzt, das Heimath-
recht des anderen aber für den vermögenslosen Nichtbayern so gut
wie gar nicht zu erlangen ist, von einer thatsächlichen, nur durch
den Ersatzanspruch des 8 7 Fr.G. modificirten Fortdauer des Gothaer
Vertrages sprechen, der in den wenigen, der Kündigung noch ver-
bliebenen Resten seitens Bayerns nur dem Reiche gegenüber künd-
bar ist.
Ist sonach die reciproke Anwendung der Ausgleichungsregel der
88 11, Abs. 2 und 5 Fr.G. zwischen den verschiedenartigen Armen-
fürsorgerechten Deutschlands ausgeschlossen, so entbehrt andererseits
auch die überall gleichmässig geltende weitere Vorschrift des $ 5 eod.,
welche die Abweisung eines bereits öffentlich Unterstützten seitens
der Niederlassungsgemeinde an den Nachweis knüpft, dass die Hülfs-
bedürftigkeit auf anderen Gründen als auf einer nur vorübergehenden
Arbeitsunfähigkeit beruht, in interterritorialer Beziehung der Zweck-
mässigkeit. Da sich das Vorhandensein jener Voraussetzung nur nach
den im einzelnen Falle vorliegenden thatsächlichen Verhältnissen er-
messen lässt, muss eine gemeinsame oberste Instanz vorhanden sein,
welche umfassende Sachkenntniss und anhaltende Uebung befähigt,
darüber zu wachen, dass die Ausweisungsbefugniss in einer massvollen.
sowohl den Interessen der betheiligten Communalverbände wie der
282) v. REITZENSTEIN in ScHMoLLER’s Jahrbüchern 1881, S. 553 ff.; Lönıng,
Lehrbuch, $ 185.