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Wann letzteres der Fall ist, darüber entscheiden mangels
spezieller Anordnungen, wie sie sich namentlich im E.-G.
Art. 33 ff. vorfinden, naturgemäss Sinn und Bedeutung der ein-
zelnen Bestimmungen nach Massgabe der allgemeinen Auslegungs-
regeln. Ergiebt sich danach ein zweifelloser Widerspruch
einer Bestimmung des Gresetzbuches zum älteren Recht, so wird
dieses aufgehoben; ist ihr Inhalt vereinbar, so bleibt es bestehen.
Das sind selbstverständliche Sätze. Aber nicht immer und
sicherlich in vielen Fällen nicht führen sie zum Ziele. Die Frage
ist eben, wann ein solcher Widerspruch, wann Einklang an-
zunehmen sei. Schon die kurzen bisherigen Erfahrungen lassen
es als sicher erscheinen, dass in zahlreichen Einzelfällen über
ihre Beantwortung bitter gestritten werden wird — die zwei
in meinem Aufsatze zu erörternden Einzelfragen lassen wenig-
stens in dieser Beziehung recht „hoffnungsvollen“ Vermutungen
Raum. Da sehen wir uns denn nach Leitsätzen um, wie sie die
Allgemeine Rechtslehre bietet, die uns für die Stellungnahme
zum einzelnen Fall wenigstens den sicheren grundlegenden Stand-
punkt gewähren.
1. Der erste dieser Sätze lautet, dass im Zweifel für eine
möglichst geringe Abweichung der neuen Bestimmung vom bis-
herigen Rechte zu vermuten ist. Er ist, soweit ich sehe, ein
Gemeingut der modernen Wissenschaft und wird von den besten
Lehrbüchern, soweit sie sich überhaupt mit derartigen Fragen
beschäftigen, übereinstimmend verfochten, so von WINDSCHEID
($ 21 No. 7), DERNBURG ($ 30 No. 2b — er verlangt sogar einen
„unzweideutigen“ Widerspruch zwischen beiden Gesetzen)
und HöÖLDeEr ($ 16). Für einen besonderen Fall spricht ihn
schon Kaiser JusTınIan mit beherzigenswerter Begründung aus,
l. 35 pr. O. II, 28:
„Si quando talis concessio imperialis processerit, per
quam libera testamenti factio conceditur, nihil aliud videri
principem concedere, nisi ut habeat consuetam et legitimam