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Anderen getheilt werden, und dann ist nicht zu übersehen, in
welchem Umfange dies eintreten wird. Damit aber ist die Fort-
dauer der Herrschaft des Satzes unsicher geworden, also auch
seine Geltung erschüttert. Man brauchte dies nicht anzunehmen,
wenn man die eine längere Zeit hindurch bestehende Thatsache
der Uebung allein als Ursache der Gültigkeit des Gewohnheits-
rechts ansähe, ohne noch weiter eine hierdurch begründete Macht
oder Rechtsüberzeugung oder dergleichen zu verlangen. Ob die
römischen Juristen auf diesem Standpunkte gestanden haben,
wenn sie die auctoritas rerum perpetuo similiter judicatarum unter
den Rechtsquellen aufführen, braucht nicht untersucht zu werden ®®,
Heutzutage herrscht jedenfalls eine andere Anschauung. Auch
sehen wir in der Rechtsordnung nicht, wie dies bei unseren Vor-
fahren der Fall gewesen sein mag, einen Inbegriff von Wahr-
heiten, sondern eine Summe von Imperativen, mögen auch in
neuerer Zeit von einigen Seiten Zweifel hiergegen erhoben sein.
Wir sind von der Positivität unserer geltenden Rechtsordnung über-
zeugt. Ob diese Meinung richtig ist oder nicht, ist hier gleich-
gültig. Da sie einmal besteht, ist sie für die Stellung des Richter-
amtes und die Bedeutung des Gerichtsgebrauches massgebend.
Bindend für den Richter ist eben nur die positive Rechtsordnung,
und wenn ein Rechtsgedanke durch längere Uebung ihr nicht
einverleibt ist, so kann der Richter von ihm abweichen und ist
hierzu unter den vorhin angegebenen Voraussetzungen sogar ver-
pflichtet. Hiergegen kann man auch nicht einwenden, dass der
alte Rechtssatz, welcher durch die bisherige Rechtsprechung in
den Hintergrund gedrängt ist, durch Nichtanwendung seine Gültig-
keit verloren habe, und somit für die fernere Aufrechterhaltung
des in jener enthaltenen neuen Grundsatzes Platz geschaffen sei.
Der Richter steht zu der Rechtsordnung in einem viel engeren
Verhältnisse als der Einzelne. Dieser übertritt, wenn er einem
60 Dagegen JoRDAN im Archiv für civilist. Praxis Bd. VIII S. 250ff.