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Zur Lehre von der Treupflicht im Dienstver-
hältnisse.
Von
Dr. Ernst RADNITZKY in Wien.
Ob eine selbständige Treupflicht im Verhältnis des Staats-
beamten zu seinem Dienstherrn anzunehmen ist, darüber herrscht
in der Literatur bekanntlich Meinungsverschiedenheit. Von den-
jenigen, die diese Frage bejahen, pflegt einerseits die Amtsver-
schwiegenheit, andererseits die Gewissenhaftigkeit, teilweise auch
die Uneigennützigkeit als Inhalt der Treupflicht angegeben zu
werden. Dieser Auffassung gegenüber weist REHM mit Recht
auf die von EHRENBERG, Kommendation und Huldigung S. 112
gegebene Definition der Treupflicht hin, wonach dieselbe darin
besteht, alles zu unterlassen, was nach der eigenen Ansicht
des Untergebenen dem Dienstherrn zum Schaden gereicht, und
alles zu tun, was nach der eigenen Änsicht des Untergebenen
dem Dienstherrn zum Nutzen gereicht; denn vom Rechtsstand-
punkte könne gewiss nicht gesagt werden, der Staatsdiener sei
gewissenhaft im Amte und beobachte das Amtsgeheimnis, weil
dies der eigenen Ansicht des Staatsdieners vom Wohle des
Staates entspricht, sondern er sei fleissig und aufmerksam im