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den Staat als soziale Erscheinung auffasst. Wenn er dann auch (wiederum
wie JELLINEK) in einer besonderen Abteilung den Staat als Rechtsbegriff
behandelt, so ist doch dieser Staat identisch mit jenem, der eine soziale
Erscheinung ist. Es gibt nicht zwei von einander verschiedene Arten von
Staaten, soziale und juristische Staaten, sondern einen Staat, der allerdings
auch eine Beziehung zum Rechte hat. „Der Staat als Rechtsbegriff“ ist
nichts anderes, als der in seinem Verhältnisse zum Rechte erfasste, nach
seiner Stellung im Rechte beurteilte Staat. Besonders deutlich kommt dies
in den beiden Staatsbegriffen zum Ausdruck, die JELLINEK seiner Staats-
lehre zu Grunde legt. Die Definition des sozialen Staatsbegriffes (Allgemeine
Staatslehre 2. Aufl. S. 173) lautet: „Der Staat ist die mit ursprünglicher
Herrschermacht ausgerüstete Verbandseinheit sesshafter Menschen“, die
des juristischen (S. 176): „Der Staat ist die mit ursprünglicher Herrscher-
macht ausgerüstete Körperschaft eines sesshaften Volkes.“ Die diesen bei-
den Begriffen gemeinsamen Merkmale sind natürlich nicht juristischer Natur.
Folglich liegt in der Aufstellung des juristischen Staatsbegriffes (von der
Variation: Menschen — Volk abgesehen) nichts anderes, als das Urteil: Der
(als soziale Erscheinung definierte) Staat ist eine Körperschaft. Darauf
läuft denn auch die SEIDLERsche Untersuchung hinaus!. Der Verfasser
bezeichnet den Staat als Rechtssubjekt, genauer als Rechtssubjekt sui generis,
das ist als Hoheitssubjekt (S. 58). Dagegen ist nicht das Mindeste einzu-
wenden. Nur ist damit ein juristisches Kriterium des Staates nicht gewonnen.
Sehen wir aber von der vermeintlich juristischen Natur des Kriteriums
ab! Wie verhält es sich mit dem Kriterium überhaupt? „Sobald wir finden,
dass die Verfassung eines Gemeinwesens Personal-, Gebiets- und Organhoheit
ihres Subjekts aufweist, ist mit unbezweifelbarer Sicherheit festgestellt,
dass das Gemeinwesen Staat ist“ (8. 74). Die unbezweifelbare Sicherheit
für die Schlussfolgerung aus der Prämisse kann unbedenklich zugegeben
werden. Wer sagt uns aber „mit unbezweifelbarer Sicherheit“, ob die Macht-
befugnisse eines Gemeinwesens hoheitliche Befugnisse im Sinne des Verfassers
sind? Mit der SsıDLeRschen Definition kann man beweisen, dass das Deutsche
Reich ein Staat, und dass es kein Staat? ist, und man kann damit das
böhmische Staatsrecht stützen und auch widerlegen. Ja der Verfasser erhöht
noch die Verwertungsmöglichkeit seiner Theorie dadurch, dass er eine Gebiets-
körperschaft als nicht souveränen Staat bezeichnet, wenn ihre Verfassung
—
: Dies erkennt der Verf. wohl selbst an, wenn er (S. 17) bemerkt, dass
das juristische Kriterium des Staates im Grunde nichts anderes bedeute, als
die juristische Formulierung der Erkenntnis von der realen Natur des
Staates.
? SEIDLER selbst beweist die Staatsnatur des Reiches unter Zuhilfenahme
des Satzes, dass die staatlich-konstitutiven Hoheitsrechte unübertragbar
sind (vgl. S. 92 N. 1).
Archiv für öffentliches Recht. XXI. 1. 12