Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 21 (21)

— 1798 — 
die Vereinigung relativer Gebiets-, Organ- und Personalhoheit aufweist 
(S. 86). Die Relativität der hoheitlichen Befugnisse ergibt sich eben daraus, 
dass die Gebietskörperschaft einer anderen Gebietskörperschaft untergeordnet 
oder eingegliedert ist. Den Unterschied vom Kommunalverbande findet der 
Autor darin, dass auch die Hoheit des nicht souveränen Staates eine ur- 
sprüngliche ist, während die Befugnisse des Kommunalverbandes aus der 
Rechtsordnung des übergeordneten Gemeinwesens abgeleitet sind. Und das 
Kriterium für die Ursprünglichkeit der Staatshoheit? Die Organisation eines 
nicht souveränen Staates ist gleich der des souveränen Gemeinwesens „das 
unmittelbare Produkt der psychischen Wechselwirkung der einzelnen, nicht 
aber ein Akt der Gesetzgebung“ des souveränen Staates (S. 81). Wenn wir 
also wissen wollen, ob Böhmen ein Staat ist oder nicht, so müssen wir fest- 
stellen, ob seine Organisation aus der psychischen Wechselwirkung der ein- 
zelnen entstanden ist. - Als Eulenspiegel an der Prager Universität eine 
Prüfung ablegte, antwortete er auf die Frage, wo sich der Mittelpunkt 
der Welt befinde: „Hier in Prag.“ Und den Beweis für seine Behaup- 
tung führte er durch die Aufforderung, einmal genau nachzumessen. Ein 
Beweismittel ähnlicher Art gibt uns SEIDLER an die Hand. Man unter- 
suche die „psychische Wechselwirkung der einzelnen“! Welcher einzel- 
nen übrigens? Derer, die heute in der Gebietskörperschaft leben? Oder 
ihrer Vorgänger? Und wie soll der Einfluss äusserer Schicksale (Kriege. 
Revolutionen, Staatsstreiche u. s. w.) auf die bereits erzeugte psychische 
Wechselwirkung festgestellt und beurteilt werden? Der logische Sprung, 
der in der SEIDLERSchen Argumentation liegt und der (trotz einzelner ent- 
gegengesetzter Bemerkungen) das ganze Buch beeinflusst, besteht darin, dass 
der Autor seine Anschauung von der Entstehung der staatlichen Institution 
auf die von JELLINEK so genannte sekundäre Staatenbildung (a. a. O., 
S. 259) überträgt. Die „psychische Wechselwirkung der einzelnen“ kann man 
sich gefallen lassen als Erklärung des staatlichen Zustands als solchen. Für 
die Beurteilung der Entstehung bestimmter, konkreter Staaten liefert diese 
psychische Wechselwirkung keine greifbaren Anhaltspunkte. Wenn Ari- 
stoteles den Staat darauf zurückführt, dass der Mensch ein Güov ybosı moAL- 
tıxöv ist (darin ist doch wohl schon die „psychische Wechselwirkung“ SEID- 
LERS in nuce enthalten), so können wir doch nicht den österreichischen 
Staat darauf zurückführen, dass die Menschen, die ihn begründet haben, 
‚animalia austriaca waren. Die Untersuchung der menschlichen Psyche hat 
wohl auch für die Beurteilung der Staatengeschichte Bedeutung; aber sie 
kann uns nicht unmittelbar die historischen und die damit untrennbar ver- 
bundenen rechtlichen Schicksale der Staaten erklären. 
Was übrigens die österreichischen Kronländer betrifft, so erklärt sie 
SEIDLER (auch hier wiederum JELLINEK folgend) für Zwischenbildungen 
zwischen nichtsouveränen Staaten und Kommunalverbänden, während er 
Elsass-Lothringen und die britischen Kolonien für reine Kommunalverbände
	        
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