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sich zunächst in der Literatur eine ganz auffallende Verschieden-
heit der Meinungen über den Tatbestand des Seeraubes; nicht
minder ist das der Fall, wenn man, wie STIEL ?! dies in einer
ihm leider unbewusst bleibenden Regung eines richtigen Gedankens
tut, die Staatenpraxis als Erkenntnisquelle für das völkerrecht-
liche Gewohnheitsrecht heranzieht. Für die Literatur weist zu-
nächst im Gegensatz zu seiner neueren Behauptung in seinem
Völkerrecht ?? schon GAREIS an anderer Stelle ??® darauf hin, dass
die Feststellung des Begriffes des Seeraubes in den Fällen Schwie-
rigkeiten mache, „in denen nicht Verträge die Merkmale des
Begriffes genau präzisieren“. Diese Bemerkung, die an sich
durchaus das Richtige trifft, spricht ebensowenig für das immer
wieder behauptete Bestehen eines „völkerrechtlichen Gewohnheits-
rechtes“, wie die folgende Feststellung, dass an der von GAREIS
gegebenen Definition:
„In der völkerrechtlichen Literatur werden unter eigentlichen
Piraten diejenigen verstanden, welche einen gewaltsamen Angriff ge-
gen Schiffe auf hoher See mit dem animus furandi unternehmen und
hierbei durch Erregung von Furcht auf die zu Beraubenden wirken“,
wie er selbst zugibt, nur das erste Merkmal, der gewaltsame Angriff
auf Schiffe, unbestritten sei?*. In der Tat sind hier zwischen zwei
Grenzen — weiteste Fassung: Gewalttat auf offener See ausserhalb
der Gerichtsbarkeit eines Staates der Völkerrechtsgemeinschaft (v.
LiszT); engste Fassung: Angriff gegen ein Schiff auf hoher See in
der Absicht der Wegnahme fremder beweglicher Sachen ohne staat-
liche Ermächtigung (GAREIS) — so ziemlich alle Meinungen ver-
treten. Einer besonderen Erwähnung bedarf die Definition von
STIEL 25 noch insofern, als er den Seeraub als ein „gegen prin-
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12.2.0. 29.
”2 8. oben 278 2°.
23 Bei v. HOLTZENDORFF II, 573; vgl. auch ULLMANN 215.
?* StieL 67° bemerkt hierzu übrigens, dass nicht einmal dieses voll-
ständig der Fall sei. S. auch 73.
25 2.2.0. 28.
19*