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Durch die vorstehenden Ausführungen ist zugleich die Frage
beantwortet, ob der Staat, der einen Seeräuber aufgegriffen hat,
verpflichtet ist, strafrechtlich gegen ihn vorzugehen. STIEL”
verneint dies und begründet seine Ansicht mit der „tatsächlichen
landesrechtlichen Unzuständigkeit vieler Staaten zur Bestrafung
piratischer Akte und aus der Bereitwilligkeit anderer, auch im
Falle eigener Zuständigkeit das Auslieferungsverfahren eintreten
zu lassen“. Damit ist aber nichts gewonnen; die Frage kann,
wenn man als Grundsatz festhält, dass der Pirat auch als solcher
seine Staatsangehörigkeit behält, so allgemein überhaupt nicht
gestellt werden. Vielmehr muss dann zwischen Staatsangehörigen
und Staatsfremden unterschieden werden; über die ersten hat
der Staat nach allgemeinen Grundsätzen Strafkompetenz und
ihnen gegenüber, wie schon mehrfach betont, auch die Pflicht,
zu strafen und erforderlichen Falls sein Strafrecht entsprechend
auszugestalten, über die andern hat der Staat ohne weiteres keine
Strafkompetenz, hier also auch keine Strafpflicht. Dass sich hier-
aus unter Umständen für das weitere Verfahren gegen Seeräuber,
die von einem Staate aufgegriffen sind, dem sie nicht angehören,
eine bei der jetzigen Rechtslage nicht auszufüllende Lücke ergibt,
wird noch zu erwähnen sein.
Mit meiner Feststellung, dass die Strafverfolgung von Piraten
in Deutschland nur in dem Rahmen der 88 3—8 des Strafge-
setzbuches möglich sei, sucht dann STIEn °® ein Vorgehen auf
Grund des Nordseefischereivertrages oder der Kabelkonvention ®°
in Parallele zu stellen. Er behauptet, dass hier die Möglichkeit
einer Strafverfolgung an die gleichen Einschränkungen gebunden
sei, wie bei einem Einschreiten gegen Seeräuber, dass aber trotz-
»" 2.2.0. 15.
2.2.0. 6.
93» Das betreffende Reichsgesetz ist übrigens nicht nur, wonach Stier 6'
es auffallenderweise zitiert, in MARTENS’ Nouveau Recueil General abgedruckt,
sondern auch im deutschen Reichsgesetzblatt (1888, 169) publiziert!