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nur von FULD ? und neuerdings von MÜLLER Meiningen 3,
Im Jahre 1886 ist die Frage im Reichstag zur Erörterung
gekommen. Der Abgeordnete von Schalscha sollte in Anlass
einer Äeusserung, die er im Reichstag gemacht hatte, bezüglich
eines Münzverbrechens als Zeuge vernommen werden. Er wei-
gerte sich, Zeugnis abzulegen. Diese Weigerung wurde von dem
Gericht auf Grund des $ 139 StGB. und des $ 54 StPO. für
begründet erklärt.
Da der Abgeordnete von SCHALSCHA nicht schon aus dem
Grunde zur Ablehnung des Zeugnisses für berechtigt erklärt war,
weil er Mitglied des Reichstags sei, beantragte der Abgeordnete
Dr. WInDTHoRsT in Verbindung mit verschiedenen anderen Ab-
geordneten, der Reichstag möge eine Erklärung dahin abgeben,
„dass es unzulässig sei, einen Reichstagsabgeordneten wegen
Aeusserungen über Tatsachen, welche ihm in dieser seiner Eigen-
schaft mitgeteilt sind, und welche er infolge dessen im Reichs-
tage vorgetragen hat, einem Zeugniszwangsverfahren zu unter-
werfen. Ueber diesen Antrag fand am 10. März 1886 eine Ver-
handlung im Reichstage statt. Der Antragsteller und andere
Abgeordnete der Zentrums- und der Fortschrittspartei suchten
auszuführen, dass der Antrag dem bestehenden Recht entspreche.
Von Rednern der konservativen Parteien wurde dieses bestritten.
Der Bundeskommissar, Staatsminister von Boetticher, konnte eine
Erklärung über die Ansicht des Bundesrats nicht abgeben, da
der Bundesrat noch keine Stellung zu der Frage genommen hatte.
Dagegen erklärte er, dass die preussische Staatsregierung ein-
stimmig zu der Ueberzeugung gekommen sei, dass der Art. 30
RV. die Abgeordneten nicht dem Zeugniszwangsverfahren ent-
ziehe. Der Antrag wurde an die Geschäftsordnungskommission
überwiesen und ist dort ruhen geblieben *.
2 Gerichtssaal Bd. 35, 8.5385 Archiv f. öffentl. Recht Bd. IV, 8. 344 fi.
Annalen des Deutschen Reichs 1-88, S. 6.
3 Annalen d. D. R. 1906 8. 641 ff.
* Stenogr. Berichte 1885/86 Il S. 1399 ff. und Anlagen, Nr. 185.