— 355 —
Art. 30 der Verfassung des deutschen Reiches lautet: „Kein
Mitglied des Reichstags darf zu irgend einer Zeit wegen seiner
Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufs getanen
Aeusserungen gerichtlich oder disziplinarisch verfolgt oder
sonst ausserhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen
werden.“
In der preussischen Verfassung (Art. 84) findet sich die ent-
sprechende Bestimmung in folgender Form: „Sie (die Mitglieder
beider Kammern) können für ihre Abstimmungen in der Kammer
niemals, für ihre darin ausgesprochenen Meinungen nur inner-
halb der Kammer auf Grund der Geschäftsordnung (Art. 78) zur
Rechenschaft gezogen werden.“
Die StPO. und die CPO. enthalten keine Vorschrift, durch
welche die Mitglieder des Reichstags in dieser ihrer Eigenschaft
von der Verpflichtung zur Zeugnisablegung befreit werden. Die
85 53 StPO. und 376 CPO. untersagen es, öffentliche Beamte
über Tatsachen, auf welche sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegen-
heit bezieht, ohne Genehmigung ihrer vorgesetzten Dienstbehörde
als Zeugen zu vernehmen. Diese Vorschriften kommen auf die
Mitglieder des Reichstags nicht zur Anwendung, da dieselben
als solche nicht zu den öffentlichen Beamten gehören. Im üb-
rigen enthalten die StPO. und die CPO. kein Verbot der Zeugenver-
nehmung. Sie geben nur gewissen Personen das Recht, ihr Zeugnis
zu verweigern. Abgesehen von solchen, die in einem Verwandt-
schafts- oder Schwägerschaftsverhältnis zu den Beteiligten stehen,
wird das Recht zur Verweigerung des Zeugnisses in $ 52 StPO.
den Geistlichen, den Verteidigern, den Rechtsanwälten und Aerz-
ten hinsichtlich desjenigen erteilt, was ihnen in ihrer amtlichen
Stellung, in der bezüglichen Eigenschaft oder bei Ausübung ihres
Berufes anvertraut ist. Die CPO. $ 383 gibt ausser den Geist-
lichen in Ansehung desjenigen, was ihnen bei Ausübung der
Seelsorge anvertraut ist, allgemein „Personen, welchen kraft ihres
Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren
24*