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Was die Verpflichtung der Mitglieder des Reichstags, Zeugnis
wegen der in Ausübung ihres Berufes getanen Aeusserungen ab-
zulegen, anlangt, so hat Art. 30 seinem Wortlaut nach hierüber
irgend welche Bestimmung nicht getroffen. Wenn man zur Ab-
legung eines Zeugnisses geladen und angehalten wird, so wird
man nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch dadurch nicht
wegen der Umstände, welche die Vorladung veranlasst haben,
„gerichtlich verfolgt“ oder „zur Verantwortung gezogen“. Man
hat ein Ziehen zur Verantwortung darin finden wollen, weil der
Zieuge sich seiner Vernehmung entziehen und dann durch Zwangs-
massregeln und Strafen zur Erfüllung der Zeugenpflicht ange-
halten, also zur Verantwortung gezogen werden könne, und
weil er als Zeuge eine falsche oder unrichtige Aussage machen
und sich dadurch einer Bestrafung aussetzen könne. In beiden
Fällen wird der Zeuge aber nicht wegen des Umstandes, der
den Anlass zu seiner Vorladung geboten hat, oder wegen der
Tatsachen, über welche er vernommen wird, sondern wegen
seines sonstigen Verhaltens zur Verantwortung gezogen; die Vor-
ladung oder Vernehmung als Zeuge gibt ihm nur Gelegenheit,
sich durch ein widerrechtliches Verhalten verantwortlich zu
die Abgeordneten von HAMMERSTEIN und von RHEINBABEN in der erwähnten
Reichstagssitzung. (Ersterer sprach sich insbesondere dahin aus, dass in
einem Falle, in welchem jemand sich zur Wahrung eines Fabrikations-
geheimnisses bei Vermeidung einer Konventionalstrafe verpflichtet habe,
die Strafe nicht verwirkt sei, wenn das Geheimnis von dem Verpflichteten
als Reichstagsabgeordneten in einer Sıtzung des Reichstags offenbart
werde.) — Ebenso FULD, Arch, f. öffentl. Recht 1889 S. 344 und 345, unter
besonderer Hervorhebung des Falles, dass durch die Aeusserung eine Ver-
tragsverletzung begangen wird, und Annalen, 1888 S. 11. SEIDEL, Annalen
1880 S. 404. SEIDLER a.a. O.S. 80 u.81. LABAND, Staatsrecht des Deut-
schen Reichs $ 37. PUCHELT, Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich,
Anm. 6 zu $$ 11 u. 12. Bınpına, Handbuch des Strafrechts S. 676;
HUBRIOH a a. O S. 369 fi. Die drei letzten sind der Meinung, dass auch
der $ 11 StGB. Civilklagen ausschliesse. MITTELSTÄDT lässt die Frage,
ob Art. 30 sich auch auf die civilrechtliche Verantwortlichkeit bezieht,
dahingestellt.