— 375 —
Mit den vorstehenden Ausführungen steht ein Beschluss und
eine Verhandlung der Frankfurter Nationalversammlung in Ueber-
Ob dieses für die belgische Verfassung richtig ist, scheint mir zweifelhaft.
Wie FuULD auch anerkennt, hat der belgische Justizminister sich in einem
anderen Sinne geäussert. (Vergl. hierüber SCHULZE, Preussisches Staats-
recht Bd. II Abt. 1 8. 167.) Bei VAUTHIER (a. a. OÖ. S. 43) heisst es:
„Kein Mitglied der einen oder anderen Kammer darf wegen seiner Meinungs-
äusserungen oder Abstimmung in Ausübung seines Berufs verfolgt oder in
Untersuchung gezogen werden“. Nach VAUTHIER ist ferner eine
Zivilklage auf Entschädigung gegen ein Kammermitglied wegen seiner
Aeusserungen im Parlament zulässig. Jedenfalls besteht aber für uns ein
anderes Recht. Es ist bei uns nichts weniger als ausgeschlossen, dass auf
Grund der Aeusserung eines Abgeordneten im Reichstag ein strafrecht-
liches oder Disziplinarverfahren gegen einen Dritten angestrengt wird.
Häufig ist es gerade der Zweck einer solchen Aeusserung eine nähere
Untersuchung des Vorfalls nach jeder Richtung hin herbeizuführen. — Die
betreffende Bestimmung der Bill of rights lautet: „That the freedom of
speech and debates or proceedings ought not to be impeached or questioned
in any court or place out of parliament“. FUuLD meint, dass aus dem
Ausdruck questioned folgt, dass ein Parlamentsmitglied nicht wegen seiner
berufsmässigen Aeusserungen als Zeuge vernommen werden darf. Er be-
merkt: „Unter question versteht die englische Rechtssprache nicht nur
das Fragen, das Befragen, das Verhören, zur Rede stellen eines Ange-
klagten, sondern auch das Verhören eines Zeugen“. Soweit mir bekannt,
ist der Ausdruck question als Verb überhaupt kein juristisch technischer
und nach dem gewöhnlichen Sinn bezieht er sich nicht auf die Vernehmung
als Zeuge. OPPENHEIM gibt in seiner Uebersetzung des Buches von MAY
über das Englische Parlament und sein Verfahren (3. Aufl. S. 120) die Be-
stimmung so: die Freiheit der Rede dürfe vor keinem Gerichtshof etec.
Gegenstand der Anklage und Untersuchung sein. Tatsächlich scheint
allerdings angenommen zu werden, dass ein Abgeordneter über Vorgänge
im Hause der Gemeinen wider seinen Willen nicht ohne Erlaubnis des
Hauses vernommen werden dürfe (May a. a. O. S. 460). Ob eine Zeugen-
vernehmung auch in Anlass der Erklärungen des Abgeordneten unzulässig
ist, erhellt nicht.
Was nun Frankreich anlangt, so ist im Jahre 1830 ein Fall vorge-
kommen, in welchem anerkannt wurde, dass ein Mitglied der Deputierten-
kammer nicht zur Zeugenvernehmung über eine von ihm in der Kammer
gemachte Aeusserung geladen werden dürfe. Ein Deputierter wurde ge-
laden, um als Zeuge nähere Auskunft über Tatsachen, die er in der Kam-
ıner angeführt hatte, zu geben. Er weigerte sich, der Ladung Folge zu