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Dispositives und mittelbar geltendes Recht.
Von
Dr. ERNST RADNITZKY in Wien.
In seiner gross angelegten, in die Tiefen des Rechtes und
in die Ferne der Zeiten führenden Abhandlung über „Ver-
fassungsänderung und Verfassungswandlung“ wird von JELLINEK
auch ein Problem berührt, das an allgemeinem Interesse gegen-
über den von ihm eröffneten Ausblicken in die Zukunft des
Parlamentarismus gewiss erheblich zurücktritt, aber für den
Juristen als solchen wohl den bedeutsamsten Punkt in seinen
Ausführungen bildet. Es sei mir gestattet, aus dem reichen
Inhalt der Schrift diesen einen Punkt herauszugreifen und einer
kurzen Erörterung zu unterziehen, da ich gegen die diesfälligen
Aufstellungen JELLINEKs einen vielleicht nicht ganz unfrucht-
baren Widerspruch erheben zu können glaube.
Es handelt sich zunächst um die Frage, ob es ein disposi-
tives Staatsrecht gibt und was darunter zu verstehen ist.
Sehen wir fürs erste davon ab, in welchem Zusammenhange
diese Frage von JELLINEK aufgeworfen und wie sie von ihm
beantwortet wird, und versuchen wir, sie unabhängig von ihm
zu entscheiden. Selbstverständlich müssen wir hierbei von dem
dispositiven Privatrecht ausgehen und uns vor allem darüber
einigen, was unter diesem zu verstehen ist. Ich verstehe nun