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rufen. Dispositives Recht im Sinne JELLINEKs läge nur vor,
wenn der Premier ipso jure Erster Lord des Schatzes würde,
es wäre denn, dass ihm die Krone ein anderes Amt verleiht.
Als drittes Beispiel werden von unserem Verfasser die Regeln
in Betreff der Voraussetzungen angeführt, unter denen ein Ka-
binett demissionieren muss. Bis zur zweiten Reformbill sei ein
Kabinett im Amte geblieben, bis es im Unterhause überstimmt
wurde. Seither präge sich immer schärfer die neue Regel aus,
dass bereits die Neuwahlen unmittelbar das Schicksal des Ka-
binetts bestimmen, und neuestens werde sogar versucht, schon
den Nachwahlen im Verlaufe einer Parlamentsperiode diese Macht
zuzuschreiben. Der Verfassungswandel in England sei in erster
Linie Wandel seines dispositiven Staatsrechtes. Die Auffassung,
die sich in diesem letzten Satze ausspricht, muss entschieden
überraschen. Wir hatten bisher gedacht — und die beiden
ersten Beispiele JELLINEKs schienen uns wenigstens in diesem
Punkte recht zu geben —, dass das dispositive Recht und ins-
besondere das dispositive Staatsrecht JELLINEKs etwas wie den
ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht darstelle; unzählige-
male ausser Anwendung gesetzt, erhebe es doch immer wieder
sein Haupt und habe eben infolge seiner „Nachgiebigkeit* viel
grössere Chancen unverändert fortzudauern als das „unnach-
giebige“ — das „zwingende“ — Recht. Und nun spricht der
Verfasser in seinem letzten Beispiel auf einmal von der Aus-
prägung einer „neuen Regel“ und gibt uns deutlich zu verstehen,
dass gerade das nachgiebige Recht den allergrössten Wand-
lungen unterworfen ist, dass es das wandelbare Recht par ex-
cellence ist!
Eine Meinung lässt sich nur dann völlig widerlegen, wenn
ınan weiss, wie sie im Geiste ihres Urhebers entstanden ist. Ich
kann diesfalls nur eine Vermutung aussprechen. Bekanntlich
unterscheiden die anglo-amerikanischen Juristen zwischen rigid
und flexible constitutions, zwischen „starrem“ und „biegsamem“