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eben auch der Systematiker des öffentlichen Rechts solchen Ueberblick
nicht gewinnen können, wenn nicht so vortreffliche Arbeiten wie dieser
Kommentar die Einzelheiten des vielgestaltigen Stoffes durchleuchten.
Otto Mayer.
Georg Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts. Nach dem Tode des
Verfassers in sechster Auflage bearbeitet von Gerhard Anschütz.
Leipzig, Duncker & Humblot 1905. XII und 893 S.
Wenn ich dieses Buch begrüsse, so kann ich nicht anders beginnen,
als mit dem Ausdruck dankbarer Erinnerung an den Mann, der uns allzu-
früh entrissen wurde, eine der liebenswürdigsten Erscheinungen der deut-
schen Gelehrtenwelt.
Seine literarische Persönlichkeit tritt uns in seinen beiden Lehrbüchern:
„Deutsches Staatsrecht“ und „Deutsches Verwaltungsrecht“ scharf ausge-
prägt entgegen. Er ist der geborene Lehrer. Was ich in dieser Zeitschrift
Bd. XI S. 160 von dem letzteren Werke sagte, gilt für beide: „Alles ist in
einer Klarheit, Sicherheit und Ordnung vorgetragen, die geradezu muster-
giltig ist. Vielleicht ist manches nicht so ganz einfach als es hier aus-
sieht; dafür stösst man aber auch nirgends auf gewagte Einfälle und will-
kürliche Künsteleien. In seinem ruhigen, vertrauenerweckenden Gang be-
währt sich an diesem Lehrbuch die rechte Kunst des Lehrens“.
Als Denkmäler des Rechtszustandes ihrer Zeit werden diese Werke
immer von Wert bleiben. Als lebendige Lehrbücher aber sind sie selbst-
verständlich der Gefahr ausgesetzt, rasch zu veralten — das öffentliche
Recht marschiert ja mit grossen Schritten weiter. Hier wäre es wirklich
schade gewesen, wenn sich niemand gefunden hätte, um die Lebenskraft
dieses guten Buches zu verlängern. Der Herausgeber hat sich durch dieses
Unternehmen ein grosses Verdienst erworben und noch mehr durch die
Art, wie er es ausgeführt hat.
Wer selber Bücher schreibt, kann sich wohl in die Lage versetzen und
sich vorstellen, wie schwierig es ist, ein fremdes Buch herauszugeben mit
den erforderlichen Aenderungen und Zusätzen. Und wenn nun der Heraus-
geber seinerseits ein Mann ist, der von Haus aus keineswegs geneigt ist.
so einfach hinzunehmen, was die andern sagen, sondern im Gegenteil sehr
daran hält, seine Meinung für sich zu baben und sie auch mit der wün-
schenswertesten Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen — dann ist es ihm
doppelt hoch anzurechnen, wenn die Herausgabe so — ich will einmal
sagen: so dezent gemacht ist, wie hier.
Was hat man schon erleben müssen mit solchen posthumen Heraur-
gaben! Was ist aus ZACHABIAE, Französisches Zivilrecht, aus L. A. RiCHTER.
Kirchenrecht geworden? Die Wassersucht haben sie bekommen, vor lauter
Zusätzen und Gegenzusätzen und Polemik gegen den Text!