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Zum Schlusse mögen einige der wichtigsten praktischen Ergebnisse
aus der Arbeit RAUCHBERGs hervorgehoben werden:
Die auf Grund der letzten Volkszählung hergestellte Sprachenkarte
von Böhmen ergibt, dass die beiden Volksstämme im ganzen strenge
getrennt wohnen, so dass die von deutscher Seite begehrte administrative
Trennung nach den Volksstämmen keineswegs jenen Schwierigkeiten be-
gegnen würde, welche von der gegnerischen Seite behauptet werden. Für
die Entwicklung der beiden Volksstämme Böhmens ist die geschlossen
wohnende Masse massgebend, nicht aber die Entwicklung an den
Grenzstreifen oder in den Mischgebieten. Wenn auch in letzteren
der ezechische Volksstamm einen wesentlichen Vorsprung zu verzeichnen
hat, so ist dennoch das übermässige Anwachsen des czechischen Elementes
gegenüber dem deutschen in Böhmen nur eine durch die sonstigen politischen
Erfolge den ÜOzechen herbeigeführte Täuschung; die Sprachgrenze
hatsichim ganzen wenig und nicht überall zu Gunsten der Czechen
geändert. Die wichtigsten Verschiebungen haben sich im geschlossenen
Sprachgebiete bei den nationalen Minderheiten ergeben. Hier
kommt die Wanderbewegnng als Folge der Industrialisierung des Landes
vorzüglich den Deutschen zustatten. Die Czechen suchen aus Erwerbs-
rücksichten das deutsche Sprachgebiet auf; doch hat gerade hier der Ein-
fluss der wirtschaftlichen Faktoren eine Aufsaugung der czechi-
schen Minoritäten und damit einen Vorsprung der deutschen Gebiete
bezüglich der Volkszunahmen vor den czechischen zur Folge gehabt.
Besser als die ezechischen behaupten sich, von gewissen Ausnahmen ab-
gesehen (Prag, Pilsen, Budweis), die deutschen Minoritäten im
ezechischen Gebiete, welche hier als der wirtschaftlich stärkere Teil er-
scheinen. So erweist sich nach den Worten des Autors, dass die beste
nationale Politik einegute Sozialpolitik ist. Von grossem Interesse
sind auch die Angaben über die Bildungsrichtung der beiden Volks-
stämme. Während die Deutschen sich zum grossen Teile für die Tätigkeit
in der Industrie, dem Handel und Verkelirswesen vorbereiten, findet auf
ezechischer Seite eine Ueberproduktion an Hochschülern statt, die natur-
gemäss nach Versorgung im Öffentlichen Dienste über das czechische
Sprachgebiet hinaus streben, was in unserer Zeit, da der Utraquismus
der strengen nationalen Sonderung gewichen ist, Anlass zu mancher Rei-
bung bietet.
Das wichtigste, höchst beherzigenswerte Ergebnis der Forschungen des
Autors ist jedoch, dass der nationale Kampf, der so viele Volks-
kräfte verbraucht, dennationalen Besitzstand beider Volksstimme
nicht zu erschüttern vermochte. Was der czechische Volks-
stamm durch die kulturelle Hebung seines Mittelstandes erreicht hat, wird
auf deutscher Seite durch die industrielle Entwicklung wettgemacht. Nicht
im aufreibenden Kampfe, sondern in der Kulturentwicklung auf beiden
Archiv für öffentliches Recht. XXI. 3. al