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Der polizeilichen Machtäusserung sind eben Grenzen gesteckt,
über welche sie dem einzelnen gegenüber nicht hinausgehen
kann. Sie beruhen — wie OTTO MAYER $ sagt — auf der Idee
von einem dem Staate unantastbaren Gebiet der Freiheit des
einzelnen. Mit andern Worten: Dem Individuum ist die Unver-
letzlichkeit seiner Freiheit und seines Eigentums verfassungs-
mässig garantiert. Soll nun im Interesse eines geordneten Zu-
sammenlebens der Freiheit oder dem Eigentum des einzelnen
eine Beschränkung auferlegt werden, so bedarf dieselbe einer
gesetzlichen Grundlage ®”. Die polizeiliche Tätigkeit hat aber
gerade einen Eingriff in die Rechtssphäre des einzelnen zum In-
halt, sie bedarf daher einer ausdrücklichen Ermächtigung,
der Bezugnahme auf eine bestimmte Rechtsvorschrift ®®,
Hier erhebt sich nun die wichtige Frage: Muss die für einen
polizeilichen Eingriff erforderliche gesetzliche Grundlage ein Satz
des geschriebenen Rechtes sein, oder kann ein solcher
Eingriff auch durch eine gewohnheitsrechtliche Norm gestützt
werden? In der Literatur ist die Meinung noch ziemlich ver-
breitet, dass das Gewohnheitsrecht für die Verhältnisse des öffent-
lichen Rechts genau so gelten müsse, wie für die zivilrechtlichen ®.
Demgegenüber hat nun OTTO MAYER in treffender Weise nach-
gewiesen, dass die Voraussetzungen für die Wirksamkeit des
Gewohnheitsrechts in der Verwaltung ganz andere seien, als in
der Justiz. Die Justiz ist geradezu darauf angewiesen, die
Lücken des gesetzten Rechts auszufüllen durch das, was bisher
für den betr. Gegenstand als Recht galt, die Uebung des ein-
zelnen und der das Recht handhabenden Behörde.
s6 OTTO MAYER, Theorie des französ. Verw.Rechts S. 174.
#7 OtTo MAYER, Deutsches Verwaltungsrecht Bd. I S. 97.
38 SpyDEL, Bayrisches Staatsrecht, 2. Aufl. Bd. III S. 4.
3% Der Kürze halber sei hier auf die bei Orto Mayer, Bd. 18. 132
Note 20 zitierten Literaturstellen verwiesen. Vergleiche ausserdem u. a.
REHM, in HırTas Annalen 1895 S. 61 ff.
‘0 Otto MAYER, a. a. O. Bd. IS. 131.