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erscheine das Staatsratsgutachten vom 25. März 1807 neben der
lex generalis vom 11. frimaire VII als lex specialis und dieses
Spezialgesetz sei nach der bekannten Auslegungsregel, wonach
ein späteres generelles Gesetz ein früheres spezielles
Gesetz nicht aufhebt, durch Art. 29 der Gem.O. nicht beseitigt
worden.
Dieser Konstruktion kann nun allerdings nicht — wie das
der Verwalt.Gerichtshof tut!” — mit dem Einwande begegnet
werden, die Auslegungsregel sei deswegen hier nicht anwendbar,
weil Art. 130 der Gem.O. neben einigen besonders aufgeführten
Gesetzen ausdrücklich auch noch überhaupt alle der Gem.O.
entgegenstehenden Gesetze und Bestimmungen aufgehoben hat.
Denn die Aufhebung aller entgegenstehenden gesetzlichen Be-
stimmungen ist kein Rechtssatz, sondern selbst Aus-
legungsregel und wäre auch eingetreten, ohne dass die Gem.O.
dies ausdrücklich hervorhob.
Allein, abgesehen davon, dass die von der Kreisregierung
angezogene Auslegungsregel in dieser Allgemeinheit unzutreffend
ist 1?®, geht die Rechtsungültigkeit des Staatsratsgutachtens aus
den Grundsätzen hervor, auf denen das Fundament der Gem.O.
steht. Die Auslegungsregel ist ja erst dann anwendbar, wenn
an keiner Stelle der Motive, Kammer- und Ausschussverhand-
lungen etwas über die Absicht des Gesetzgebers zu finden ist.
Das fragliche Staatsratsgutachten stützt sich nun auf das
vor dem Gesetze vom 11. frimaire VII bestehende, für jede
Ortschaft geltende Herkommen. Damit ist gegen-
über der Gemeindeordnung sein Schicksal besiegelt.
Denn aus der Entstehungsgeschichte der pfälzischen Gem.O.
geht unzweifelhaft hervor, dass im Bereich der Gemeinde-
127 Eintscheid. Verw.Gerichtshof Bd. 19 S. 183.
138 Vergl. REGELSBERGER, Pandekten, 1893 Bd. I S. 111 Note 11, sowie
Bruns-Eck-MırtTeis, Pandektenrecht in HOLTZENDORFFs Encyklopädi®
6. Aufl. 1904 Bd. IS. 304.