Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 22 (22)

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dass die Mahnworte des gelehrten und parteilosen Verfassers nicht die tat- 
sächliche Bedeutung im Leben erreichen werden, die er annimmt oder 
jedenfalls hofft. Die Punkte, die, konstruktiv gesehen und bei der Frage 
von Stilreinheit, als unwesentlich aussehen können, sind eben die, die jeden- 
falls psychologisch und faktisch ausschlaggebend sind. Die Klasse der 
körperlich Arbeitenden wollen jetzt vorwärts und werden auch in Schwe- 
den politische Parteiorganisationen hervorrufen, wie viel auch der Ver- 
fasser theoretisch beweisen mag, dass feste Volksparteien nach Schwedens 
Verfassung keine „Aufgabe“ haben. Logische Entgegnung ist einem Erd- 
beben gegenüber ohne Erfolg. Die öffentliche Meinung will instinktiv 
sich eben von ererbter Autorität nicht aufhalten lassen. Der Präsident 
in Nordamerika holt seinen Stärketrunk, die Aufgaben der Verfassung, 
auch der Vertretung gegenüber, auszuführen, aus den Stimmen der Wähler- 
millionen,-die eben auch durch die Präsidentenwahl und die damit in Ver- 
bindung gesetzte — sonst recht verderbliche — „Rotation“ eine Ablenkung 
für die politische Leidenschaft finden. Niemand kommt durch die Bran- 
dung zum „Weissen Hause“, ohne einen grossen Vorrat von Können und 
Wollen, während die zufällig veranlagten Persönlichkeiten der Monarchie 
gelegentlich in Schweden wie in England für den Zeitgeist abbiegen und 
Popularität für Macht erkaufen. 
Es hat sich auch eines unzweifelhaft gezeigt: während die Verfassung 
Nordamerikas sich beinahe unverändert erhalten hat, wurde Schwedens 
Verfassung faktisch seit 1809 hauptsächlich in allgemein-europäischen Rich- 
tungslinien geändert, wenn auch der Verfasser den meisten der geschehenen 
Aenderungen gegenüber behauptet, dass sie nicht den eigentlichen syste- 
matischen Grundkern der Verfassung berühren. 
Die unverantwortliche Königsmacht hat nicht vermocht, dem Zeitgeist 
gegenüber die Lasten, die 1809 ihr auferlegt sind, zu tragen. Die Hilts- 
mittel, die der Verfasser anweist, würden nicht helfen. Das allgemeine 
Stimmrecht wird angenommen werden, und die Zweite Kammer wird die 
führende Stellung erkämpfen. Welche Krisen für das Reich hieraus ent- 
stehen werden, wie weit Stärke und Begrenzung bei den Staatsfaktoren, Demo- 
kratie und Verantwortlichkeit hervorgearbeitet werden können, muss die Zu- 
kunft entscheiden. Die Verfassung von 1809, die nicht mit Parteien, sondern 
mit der durch den festen Gefühlsanschluss starken Königshand wirkt, hat 
in Schweden sicher ihre Rolle ausgespielt, wie gut das innere Gleichgewicht 
auch ausgedacht sein mochte. Soweit erkennbar, wird die zukünftige 
staatsrechtliche Entwicklung nicht weniger interessant werden, wie die der 
vergangenen Zeit. Der besondere Typus, der den Grundstein in Schweden, 
dem kräftigsten und eigenartigsten der nordischen Reiche, bildet, wird 
jedenfalls antreiben, die dortigen Erscheinungen mit besonderem Interesse 
zu beobachten. 
Kopenhagen, Rechtsanwalt Holten-Bechtolsheim.
	        
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