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Nach dem Scheitern dieser Vorlage wurden mehrfache Versuche
unternommen, die Interessenvertretung weiter auszubauen und
neue Wählerklassen zu organisieren !. Das Parlament
verhielt sich gegenüber diesen Versuchen ablehnend und der
Erfolg dieser Bewegung war einstweilen das Gesetz vom 14. Juni
1896 (die sog. BApEnIsche Wahlreform), welches dem allge-
meinen Wahlrechte auch in Oesterreich Eingang ver-
schaffte.
Durch dasselbe erhielt Oesterreich eine Reichsvertretung,
welche sich zum grössten Teile auf Interessenvertretung, zum
geringen Teile aber auf das allgemeine Wahlrecht stützte. Den
bisherigen vier Kurien wurde nämlich eine fünfte, „allgemeine
Wählerklasse“ hinzugefügt und dieser 72 Mandate zugewiesen,
wodurch die Zahl der Abgeordneten auf 425 stieg. Diese 72 Ab-
geordneten wurden jedoch nach dem Grundsatze des allgemeinen
Wahlrechtes von sämtlichen, auch den Wählern der vier
Kurien, die dadurch ein mehrfaches Wahlrecht erhielten,
gewählt. Diese Wahlreform, welche zwei ganz entgegengesetzte
Wahlsysteme kombinierte und der ungeheuren Masse der neuen,
bisher vom Weahlrechte ausgeschlossenen Wähler ihr ohnehin
geringfügiges Wahlrecht noch durch die Konkurrenz mit den
Kurienwählern bei der Wahl der 72 Abgeordneten verkürzte,
brachte mehr Verbitterung als Befriedigung bei der neuen
Wählerschaft hervor. Das Prinzip des allgemeinen Wahlrechtes
war dadurch zwar gesetzlich anerkannt, aber nur zum Scheine
verwirklicht worden, die Kluft zwischen den „privilegierten“
Kurienwählern und der Masse der Bevölkerung, welche nur in
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sollte das Wahlrecht in den beiden Kurien wesentlich von der Kenntnis
des Lesens und Schreibens und von der Erfüllung der Stellungspflicht ab-
hängig gemacht werden.
'* Hervorzuheben Antrag BÄRENREITHER und Gen. (XI, Beil. 130) auf
Schaffung einer neuen Kurie der krankenversicherungspflichtigen Arbeiter
mit 20 Mandaten; dann Antrag PLENER, ExnER und Gen. auf Wahl von
9 Abgeordneten aus den zu errichtenden Arbeiterkammern.