Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 22 (22)

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dings, bei der auch die traditionelle Furcht vor der Ausbreitung 
der sozialdemokratischen Bewegung, welche in der Ungleichheit 
des Wahlrechtes mächtige Nahrung findet, eine Rolle gespielt 
haben mochte, ist noch nicht ganz aufgeklärt. Der Bericht des 
Verfassungsausschusses des Abgeordnetenhauses führt 
namentlich die Verfassungskämpfe im russischen Reiche und die 
Tatsache, dass in der ungarischen Reichshälfte während des 
gleichzeitigen Verfassungskonfliktes das allgemeine Wahlrecht auf 
die Tagesordnung gestellt wurde, an. 
Die Ereignisse entwickelten sich nun mit grosser Raschheit. 
Gelegentlich des Zusammentrittes des Reichsrates zur Herbst- 
tagung des Jahres 1905 wurde eine Anzahl von Dringlich- 
keitsanträgen auf Einführung des allgemeinen, gleichen, 
direkten und geheimen Wahlrechtes bei den Wahlen in das Ab- 
geordnetenhaus von verschiedenen Parteien eingebracht!?. Die 
Regierung verhielt sich zunächst gegenüber diesen Anträgen sehr 
dass durchschnittlich auf 50 000 Einwohner ein Mandat entfallen wäre; das 
Wahlrecht sollte ein allgemeines, gleiches und direktes sein. Dann der 
Antrag GREGR vom 5. Juni 1886. Die späteren Anträge PERNERSTORFER 
vom 8. Okt. 1891 (XI. Sess. Beil. Nr. 251), dann SLAVIK und Gen. vom 
16. März 1893 u. a. streben gleichfalls die Umwandlung des Kurienparla- 
mentes in ein solches des allgemeinen, gleichen Wahlrechtes an. Hervor- 
zuheben sind noch zahlreiche Petitionen um Reform des Wahlrechtes 
(Verein „Volksstimme*, Sitzung vom 13. Febr. 1874 und verschiedene Arbei- 
tervereine; darüber Bericht in den Sten. Prot. VIII. Sess. Beil. Nr. 155 
und 475). Diese Anträge fanden namentlich bei der „liberalen‘, „verfas- 
sungstreuen* Partei, welche allenfalls eine Vertretung der Arbeiterschaft 
durch Arbeiterkammern zugestehen wollte, grundsätzliche Gegnerschaft. 
Vgl. die Rede des Abg. KRONAWETTER vom 24. Okt. 1893, Sten. Prot. XI. 
Sess., dann STRAKOSCH-GRASSMANN, das allgemeine Wahlrecht in Oester- 
reich seit 1848, Wien 1906, dann E. Schwarz, das Volksstimmenhaus 
(in Grünhuts Zeitschrift für privat- und Öffentliches Recht, Bd. XXXII, 
S. 666 ff.). 
19 Sten. Prot. XVII. Sess. Beil. Nr. 2453 bis 2459. Der Antrag EBen- 
HOCH verlangt die Berücksichtigung der nationalen, kulturellen, wirtschaft- 
lichen und sozialen Verschiedenheiten Oesterreichs bei Einführung des all- 
gemeinen Wahlrechtes.
	        
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