Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 25 (25)

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lieferungsverträgen anderen Ländern einräumt, dann muss die 
Benachteiligung des einen den Eindruck machen, als sei man 
bei ıhm unter der normalen Mittellinie zurückgeblieben!!*. Von 
diesem einseitig betrachtenden Standpunkt aus, der gerade im 
prozessualen Auslieferungsrecht nahe liegt, nimmt sie sich wie 
eine Retorsion aus, obschon sie keine ist. Denn für eine Retor- 
sion käme nur das Verhältnis zweier Staaten zu einander, nicht 
aber das eines Staates zu mehreren anderen in Frage. Es kann 
jedoch innerhalb wie ausserhalb eines einzelnen Auslieferungs- 
vertrages die gegenseitige Abstimmung in ihrer negativsten Form 
den Charakter wirklicher Retorsion annehmen. Der Begriff der 
Retorsion geht zwar im allgemeinen sehr weit und bedeutet Wi- 
dervergeltung schlechthin, mag sie durch eine der unliebsam 
empfundenen gleichgeartete Massregel oder eine gänzlich andere 
geschehen !!®, Vielfach aber ist auch die Retorsion nichts weiter 
als negative Reziprozität!!®, Sie stellt dann den gestörten Gleich- 
1% Dem Eindruck vermag die bekannte Meistbegünstigungsklausel, wenn 
sie hinreichend allgemein gefasst ist, wirksam abzuhelfen. Im deutschen 
Auslieferungsrecht findet sie sich vor allem in dem Vertrage mit den Nie- 
derlanden von 1896 in Art. 17; ferner in dem Konsularvertrag mit 
Serbien vom 6. Januar 1883 (Reichsgesetzblatt 1883 S. 62) in Art. XXV; 
wie es scheint auch in den Abmachungen mit Ungarn (siehe oben 
Anm. 95), obwohl in den „Ersuchungsschreiben® S. 64 nichts davon er- 
wähnt wird; in dem Protokoll Art. 2 zu dem Konsularvertrag zwischen dem 
Deutschen Reich und Japan vom 4. April 1896 (Reichsgesetzblatt 1896 
S. 732); in dem Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag mit dem 
Freistaate Columbien vom 23. Juli 1892 (Reichsgesetzblatt 1894 S. 471) 
in Art. 23. Doch muss man prinzipiell die Einstellung der Meistbegünsti- 
gungsklausel in einen Auslieferungsvertrag für einen Missgriff halten. Die 
feine Abstimmung, die zwischen den Strafrechten der Beteiligten vorge- 
nommen werden muss, lässt sich nicht durch einen Hinweis auf eine zwi- 
schen anderen zustande gekommene Vereinbarung ersetzen. Es muss daraus 
1 Notwendigkeit eine Fülle von Unklarheiten und Streitpunkten ent- 
stehen. 
"5 v. LiszT, Völkerrecht S. 310. 
" So gebraucht z. B. HALLECK reciprocity gleichbedeutend mit Re- 
lorsion Bd. 2 S. 89. 
Archiv für öffentliches Recht. XXY. ı. 7
	        
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